Alkor - Tagebuch 1989
Gruppen von NS-Opfern von der Wiedergutmachung, Extremistenbeschluß, Angriffe auf die Würde
der Frau. - Ein SED-Boß namens Schmidt: Ne, das könnt’ er nicht sagen, bei ihnen laufe das ganz anders.
Im Vorgriff auf meinen Geburtstag wurde eine neue Mecklenburg-Fahne im Garten gehißt. Der Sitte nach müßte ich sie jeden Abend einholen und morgens wieder aufziehen. Aber das tue ich nicht, das ist mir zu rituell. Soll man denn dabei irgendwelche Sprüche in die Gegend schreien? Ich meine doch was ganz anderes. Ich will damit anzeigen, daß unser Grundstück exterritorial ist und zu Mecklenburg gehört. Blau-gelb-rot, das ist eine dekorative Farbzusammenstellung. Die Rumänen führen dieselben Farben. Bei Blau denke ich an Himmel und bei Gelb an Kornfelder. Aber Rot? Woran soll ich bei Rot denken?
Ansonsten weiter in den Briefen über Goethe gelesen, an der Kugelbahn gebaut und mich über alles mögliche geärgert.
Dorfroman: Der neue Hahn kräht.«Kommt ma hier her!»lautet seine Botschaft.
TV: Herrliche Eishockey-Prügeleien. Die Knüppel fordern ja auch heraus dazu. - Ein Film über Zeppeline. Ich kann mich noch genau erinnern, wie der«Graf Zeppelin»sehr langsam über unser Haus hinwegbrummte. Das muß 1935 gewesen sein. Das groteske Mißverhältnis zwischen dem großen Körper und der winzigen Passagiergondel. - Im Archiv hatte ich eine Speisekarte des Luftschiffes, original. Leider suche ich sie vergeblich. Hat wohl einer mitgehen heißen.
Nartum / Hamburg
Fr 28. April 1989
Bild: Kokain - Staatsanwalt ermittelt gegen Nationalspieler
ND: Begegnung Erich Honeckers mit Ministerpräsident Ernst Albrecht (Niedersachsen)
Abreise nach Hamburg, Baseler Hof.
Abends Lesung in der Patriotischen Gesellschaft, 18 Uhr. Anlaß: 40 Jahre Bundesrepublik.
Die Landeszentrale für politische Bildung gab sich die Ehre. Ich las einen Querschnitt aus der«Deutschen Chronik».
1. Zeit 4 : Ausmarsch ins Feld
2. T/W: Harzreise
3. H/W 5 : Ankunft des«Spätheimkehrers»in Hamburg
Der häßliche Saal. Hinterher saßen wir im Alten Rathaus, mit Paeschke besprach ich bei dieser Gelegenheit die nächsten Projekte. Wir redeten auch über Geld, wurden uns einig und gaben uns hanseatisch die Hand darauf. Robert unterhielt unterdessen die Gesellschaft mit Schnäcken, die ich synchron mitreden kann.«Kleiner Eigensinn und Mangel an Humor», diese Sache. - Hinterher zu Fuß ins Hotel, Paeschke erzählte von dem Autounfall, bei dem sein Vater ums Leben gekommen ist. Kolbe sei nicht streßfest gewesen, sagte er.
Lübeck
Sa 29. April 1989
Bild: Ein Mann sah rot / Rentner erschoß Autoknacker
ND: DDR hat mit ihren einseitigen Abrüstungsschritten begonnen / Treffen Erich Honeckers mit einer Delegation der Stadt Magnitogorsk
60 Jahre alt!«Weil ich Jesu Schäflein bin …», wurde bei meiner Taufe gesungen.
«Echolot»: In Ellwangen klagt Ursula Ehlers, daß die Konfirmation durch Fliegeralarm gestört wurde. Zum Essen gab’s Ochsenschwanzsuppe und Kalbsnierenbraten und hinterher eine Puddingspeise. Ich bin im selben Jahr konfirmiert worden, wahrscheinlich wohl sogar am selben Tag. Tief verletzt war ich, daß meine Leute mich nach der Zeremonie nicht an der Kirchentür erwarteten, sondern mich allein nach Hause gehen ließen. Und
zu Hause wurde nicht gefeiert, sondern die Geschwister gingen zu Freunden und ließen mich allein sitzen. - Merkwürdigerweise bin ich noch immer verletzt, das ist doch nun schon eine Zeit her. Sonderbar ist es auch, daß ich mich noch genau an ein Buch erinnern kann, das ich geschenkt bekam, es hieß«Die lachende Maske».
«Echolot»: Mehlberg berichtet, daß die Russen in Pyritz einen Lammbock schlachten.«Es tat mir leid, daß dies wertvolle Tier geschlachtet werden sollte. Es brachte elfeinhalb Wassereimer Talg.»TV: Auf 1Plus wurde mein Dorffilm wiederholt, auch schon wieder zehn Jahre her.
Lübeck / Nartum
So 30. April 1989
Welt am Sonntag: Gorbatschow rüstet atomar gegen Westeuropa auf / US-Minister Cheney teilte NATO neue Zahlen über Modernisierung von Nuklearraketen der UdSSR mit Sonntag: Sommerstück. Ein neues Buch von Christa Wolf. Von Monika Melchert
Man muß nur alt genug werden. Die Geburtstagsfeierlichkeiten gerieten vielleicht etwas zu kolossal. Mir hat’s trotzdem wohlgetan, mit Heiterkeit durchstand ich es.
Am 29. 4. Morgens im Hotel«Kaiserhof», Lübeck, mit Telegramm empfangen: Willkommen, Pavel Kohout, Lübeck. Zwischen Duschen und Rasieren, sahen wir
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