Alkor - Tagebuch 1989
zufällig Mensaks Paradefilm, den wir gestern nicht sehen konnten. Hübsch die Aufnahme vom Munterhund, wie ich ihn«dressiere». Alles in allem der beste Film, der je über mich gedreht wurde. Schlußsequenz: Eine Aufnahme aller meiner Belegexemplare, der runde Turmtisch war randvoll. Nun denken die Leute, das wären alles verschiedene Bücher!«Die Millionenauflage ist längst überschritten. »(«Nu geiht dat an de tweite ran.»)
In Lübeck besichtigten wir das wiederhergestellte Burgkloster.
Mit Hildegard und Knaus sowie Renate. Den Gefängnistrakt haben sie leider abgerissen, nur die Zelle von Julius Leber haben sie stehenlassen; eine absolute Fehlangelegenheit.
Danach fuhren wir an die Grenze, was beinahe durch die Dummheit des Taxifahrers verdorben wurde: Er fuhr uns an den falschen Grenzübergang. Ein Fernsehteam filmte, wie ich mich über den Bach beugte, über den ich damals, 1947, in den Westen gesprungen bin. Ich sollte in den Graben sinnen, damit der Kommentator des Films später sagen kann, an was ich denke, wurde gesagt. - Ich erkannte an der Grenze den Zaun wieder, der mich gestoppt hatte, ich dachte damals, es sei eine Gärtnerei, das war aber und ist heute noch eine Baumschule. Ein Hund bellte damals wie verrückt, hätte beinahe die Russen auf uns aufmerksam gemacht. Ein Mann kam in letzter Minute und zeigte mir, wo’s langgeht. Im Graben war Wasser. Die Grenze sieht jetzt wesentlich bedrohlicher aus als damals, und doch ging’s damals um die Wurscht. Die«Rückkehr»in den Osten, 1948, unter innerem Zwang, den niemand erklären kann. - Das unnatürliche Lachen, während des Grenzübertritts.
Ein Grenzpolizist erzählte uns, daß die Gitter von unserer Seite aus angeschraubt sind. Daraus gehe hervor, daß der Zaun von denen da drüben gegen die eigenen Leute gerichtet sei. Die Perfektion, mit der er gebaut ist, kommt aus der gleichen Werkstatt wie die Vergasungsfabriken der Nazis.
Der Grenzsoldat wollte ein Autogramm, seine Tante verehre mich so. Neben der Grenze ein kleines Modell der Ostbefestigung, wieviele Zäune und Zonen und in welcher Reihenfolge. Von«drüben»wurden wir intensiv beobachtet.
Der Empfang im Rathaus war etwas klamm. Schon der gelb-graue Saal enttäuschend, mit Lübecker Kaufmannsfrauen als Allegorien an der Wand. Ich bekam eine Glaskruke geschenkt mit Lübeck drauf und meinem Namen. Aber das Goldene Buch hatte man weggeschlossen. Dafür war ich noch nicht reif. Das ist wohl eher für Politiker aus dem Osten reserviert. Nun - einen zweiten Auftritt wird es in Lübeck nicht geben. Nächstes Mal Göttingen, und mit 70 in Rostock?
Die Lesung war triumphal, 500 Leute, das von mir engagierte Flötenquartett süß. Rasender Applaus. Heinrich-Mann-Colloquium-Leute dabei. Buchhändler boykottiert mich irgendwie, auf kleinem Gartentisch lagen ganze sieben Bücher.
Drews monierte, daß die Flötenmädchen nicht einheitlich angezogen waren, die eine hatte einen hellen Rock an, darauf hätte ich achten sollen, meinte er.
Nach der Begrüßung in der Schiffergesellschaft, bei der ich mir etwas winzig vorkam, die Geschenke-Ablieferungs-Cour, die freundlichsten Gesichter überall, und dann gab’s Gedränge, weil Kempowski-Bücher zum Mitnehmen auslagen.
«Das nächste Jubiläum feiern wir in Rostock», sagte Paeschke. Er schenkte mir eine Video-Kamera, die in Silberpapier gewikkelt war. - Knaus schenkte 60 Kugelschreiber, wegen Sowtschick, dem die Kugelschreiber immer wegkommen. Und von den Kindern bekam ich die drei Kriegsschiffe, die als Sexual-symbole in den«Hundstagen»eine Rolle spielen.
Während des Essens (Labskaus!) ging ich, ein Glas in der Hand, durch die Reihen und sprach mit jedem ein paar Worte.
Es war nicht zu übersehen, daß sogenannte Kollegen nicht erschienen waren, z. B. Raddatz, Vesper, Fechner, Ulla Hahn und Rühmkorf! Es war eigentlich niemand da, obwohl die Gesellschaft 50 Personen umfaßte.
Im Hotel die Chefin:«Für wen darf ich bitte die Aktentasche lagern?»- Der Whirl-Pool war kaputt. Gegenüber, in der Kronsforder-Allee, das Haus, in dem meine Eltern 1920 wohnten. Ulla kam dort zur Welt.
Daß alles genauso gekommen ist, wie man’s gehofft und gedacht hat …
Um mit Renate zu sprechen: Nun geh’ ich auf die 70 zu.
Mai 1989
Nartum
Mo 1. Mai 1989
Mailied der Kinder
Am ersten Mai
Gehn Vater und Mutter in einer Reih
Kämpfen für ein beßres Leben
Fron und Armut darf’s nicht geben.
Da sind wir auch dabei.
Grün sind die Zweige
Die Fahne
Weitere Kostenlose Bücher