All die alten Kameraden: Kriminalroman aus der Eifel (Opa Berthold) (German Edition)
besuchen.«
»Aber ja«, antwortete Rita. »Wo kann ich ihn am besten finden?«
»Um diese Zeit wird er vermutlich auf seinem Zimmer sein. Soll ich ihn anrufen?«
»Nein, nicht nötig, vielen Dank. Wir schauen einfach bei ihm vorbei.«
»Tun Sie das. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt bei uns.«
»Vielen Dank«, antwortete Rita und zog Paul mit sich fort. Der grinste kurz in Richtung der Empfangsdame und flüsterte Rita nach ein paar Schritten zu: »Die müssen hier was falsch verstanden haben. Es heißt Rente ab siebenundsechzig und nicht ab siebenundneunzig. Die Frau war doch steinalt!«
»Frau Melzer ist neunundachtzig«, sagte eine hochgewachsene Frau, die von der Seite zu den beiden stieß und Pauls letzte Äußerung offensichtlich vernommen hatte. Sie reichte Paul die Hand und stellte sich vor: »Entschuldigen Sie mein gutes Gehör, ich bin Sybille Klinkenberg.«
Paul ergriff die ausgestreckte Hand und antwortete: »Paul Gedeck, freut mich.«
Auch Rita wandte sich der Frau zu. Es war eher selten, dass sie mit ihren einsfünfundachtzig Körperlänge einer Frau auf gleicher Höhe gerade in die Augen blicken konnte. Bei Sybille Klinkenberg war dies der Fall. »Hallo, Frau Klinkenberg«, sagte sie, und, zu Paul gewandt, ergänzte sie: »Sie leitet das Haus.«
Sybille Klinkenberg lächelte. »Um kurz Ihre Frage zu beantworten, Herr Gedeck: Unsere Senioren übernehmen auf freiwilliger und ehrenamtlicher Basis viele Tätigkeiten hier im Hause. Das senkt die Kosten nicht unerheblich und trägt immens dazu bei, bis ins höchste Alter aktiv zu bleiben. Zudem stärkt es die Gemeinschaft.«
»Ah«, antwortete Paul, der zu diesem Thema auf die Schnelle nichts Sinnvolles zu sagen hatte.
Sybille Klinkenberg dagegen schien bei ihrem Lieblingsthema angelangt zu sein, denn sie fuhr rasch fort: »Selbst die Gebrechlichsten und auch die Demenzkranken unter unseren Senioren möchten noch als vollwertige Mitglieder unserer Gemeinschaft wahr- und ernst genommen werden, und wir geben ihnen die Gelegenheit dazu! Jeder trägt im Rahmen seiner Möglichkeiten zum Gelingen der Gesellschaft bei, nicht wahr? Tun wir das nicht alle?«
»Mehr oder weniger«, entfuhr es Paul, der spontan an die eher schwach ausgeprägten sozialen Instinkte seiner Klientel dachte.
Rita ergänzte schnell: »Sie müssen entschuldigen, Frau Klinkenberg, wir sind beide in der Verbrechensbekämpfung tätig. Da kann sich schon einmal ein anderes Menschenbild einstellen.« Die Heimleiterin lächelte nachsichtig. »Ich verstehe«, sagte sie. »Aber mal etwas anderes. Sie möchten bestimmt Ihren Großvater besuchen. Haben Sie vielleicht vorher fünf Minuten Zeit für mich?«
»Gerne«, antwortete Rita. »Worum geht’s?«
Sybille Klinkenberg lud die beiden mit einer Handbewegung zum Weitergehen ein und begann: »Ihr Großvater erhält ja nie Besuch von anderen Freunden oder Verwandten als von Ihnen. Deshalb spreche ich Sie an.« Sie machte eine kleine Pause, ohne allerdings eine Entgegnung zu erwarten, die dann auch nicht kam. »Herr Bertold ist jetzt vier Monate bei uns. Er ist ein liebenswerter Mensch, der niemandem etwas Böses will. Allerdings – er hat doch gewisse Anpassungsschwierigkeiten.«
»So?«, fragte Rita, um zwischendurch irgendetwas zu sagen.
»Ihr Großvater erkennt offenbar den Sinn einiger Punkte unserer Hausordnung nicht. Die wenigen Anordnungen, die das Personal erteilt, befolgt er in der Regel eher nicht. Zudem ...«, sie machte eine Pause, um die Wichtigkeit des nun Folgenden zu unterstreichen, »... entfernt er sich sogar zu Unzeiten und ohne eine Nachricht zu hinterlassen aus dem Haus und kehrt nach Belieben erst nach vielen Stunden zurück.«
Rita blickte irritiert. »Sie meinen, er geht einfach hinaus und kommt irgendwann wieder, wie es ihm gefällt?«
»Genau«, antwortete Sybille Klinkenberg.
»Ja, darf er das denn nicht?«, fragte Rita weiter.
Die Heimleiterin lächelte. »Oh, natürlich darf er das Haus verlassen. Ich habe mich missverständlich ausgedrückt. Was ich damit sagen wollte: Er ist manchmal den ganzen Tag unterwegs, ohne eine Information zu hinterlassen, erscheint dann nicht zu vereinbarten Terminen und ähnliches. Verstehen Sie, es dient dem Wohl unserer Senioren und dem reibungslosen Ablauf in unserem Hause, dass wir wissen, wie lange die alten Herrschaften wo bleiben möchten. Verstehen Sie?«
»So ungefähr«, antwortete Rita. »Ich kann mir vorstellen, dass dies dem Opa Bertold nicht
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