All unsere Traeume - Roman
nicht, das Krankenhaus zu verlassen, auch nicht für ein kurzes Telefonat.
»Und kannst du vielleicht mit Posie ins Café gehen? Ich weiß nicht, wie lange das bei mir dauern wird.«
Er nickte. »Wir kommen wieder und sehen nach dir. Posie? Mit deiner Mum ist alles in Ordnung, aber vielleicht müssen wir lange warten. Komm, lass uns Kuchen essen.«
Posie gab ihr rasch einen Kuss auf die Wange, bevor die beiden loszogen. Romily konnte kaum den Drang niederkämpfen, ihre Tochter festzuhalten und nicht gehen zu lassen.
Die Hebamme schnallte ein Überwachungsgerät an ihren Bauch, und das Geräusch des Herzklopfens war sofort laut und deutlich zu hören. »Das ist ein gutes Zeichen«, sagte sie mit einem Lächeln.
»Ich nehme alle guten Zeichen, die ich kriegen kann.«
Während sie auf die Geburtshelferin wartete, lag sie auf dem Untersuchungstisch und betrachtete ein Poster an der Wand – ein Querschnitt durch eine schwangere Frau. Es sah den Tierexemplaren, die Romily zu sezieren pflegte, gar nicht so unähnlich.
Die Ärztin kam hereingehastet, schlank, in einem wehenden Arztkittel. »Dr. Summer«, sagte sie mit einem Blick auf den Computerbildschirm. »Sie haben sich von einer Sanddüne gestürzt, wie ich höre?«
»Nicht der beste Einfall meines Lebens.«
Die Ärztin untersuchte Romily. »Es blutet immer noch. Irgendwelche Krämpfe oder Kontraktionen?«
»Ich kann Krämpfe spüren. Auch wenn es schwer zu sagen ist, was ein echter Krampf ist und was vielleicht bloß eine Prellung.«
»Das ist nicht Ihr erstes Kind?«
»Das zweite.«
Sie nickte und streifte die Handschuhe ab. »Im Moment lässt sich schwer sagen, was los ist. Ich werde sofort einen Ultraschall veranlassen, danach wissen wir mehr. Es gibt mehrere Dinge, die eine Blutung verursachen können. Sollten Sie tatsächlich eine Fehlgeburt haben, können wir da kaum etwas tun. Wie Sie wissen, können wir vor der vierundzwanzigsten Woche nicht wiederbeleben.«
»Ich … Nein, das habe ich nicht gewusst.«
Die Geburtshelferin warf ihr einen raschen Blick zu. »Sie sind keine Ärztin?«
»Entomologin.«
»Oh.« Sie machte den Mund auf und schloss ihn dann wieder. »Ich verstehe. Jedenfalls schicken wir Sie nun zum Ultraschall. Bloß gut, dass es während der Sprechzeiten passiert ist, was? Ansonsten müssten Sie bis morgen warten. Ich hole jemanden, der Ihnen hilft.«
Sie ließ Romily mit der aufgeschnittenen schwangeren Frau zurück.
Das Baby war seit dem letzten Ultraschall, bei dem sowohl Ben als auch Claire sie begleitet hatten, erneut deutlich gewachsen. Eigentlich hätte Romily nicht gedacht, dass es ihr auffallen würde. Sie hatte nicht geglaubt, dass sie so genau hingesehen hatte. Doch es fiel ihr auf. Sie starrte den Bildschirm an, der das Geheimnis in ihrem Innern offenbarte. Sie sah einen Kopf, eine Hand, zwei geschlossene Augen und eine Nase und einen Mund.
»Es lutscht am Daumen«, sagte die Radiologieassistentin.
Das hier ist mein Baby. Das hier ist mein Baby von dem einzigen Mann, den ich jemals geliebt habe.
»Wird alles gut werden?«
»Es tut mir leid, ich kann keine Diagnose erstellen. Die Ärztin wird sich die Bilder ansehen.«
Zwei angezogene Beine, die Füße an den Knöcheln überkreuzt. Die Nabelschnur, die seinen Körper mit ihrem verband, durch die sie es nährte, ihm Leben gab.
»Ist es ein Junge oder ein Mädchen?«, fragte sie. Ben und Claire wollten sich überraschen lassen. Doch falls es nie auf die Welt käme, wie sollte Romily dann trauern, wenn sie es nur als Dings kannte?
»Es ist ein kleiner Junge«, sagte die Assistentin. »Möchten Sie ein Foto?«
Sie hielt es fest umklammert auf dem Weg zurück auf die Entbindungsstation, als würde ihr Baby in ihr drin bleiben, wenn sie nur das Foto festhielt. Sie fuhr die Konturen mit dem Finger nach. Streichelte die Wange ihres Babys. Ihr kleiner Junge.
»Tja«, sagte die Geburtshelferin, deren Kittel diesmal zugeknöpft war, »ich kann keine Beschädigung der Plazenta erkennen. Alles sieht gut aus. Schon irgendwelche Kontraktionen?«
»Nein.«
»Sehen wir uns die Blutung noch mal an.«
Romily wandte den Kopf ab und betrachtete ihr Foto, während sich die Ärztin ein frisches Paar Handschuhe überzog. Bitte, dachte sie.
»Es ist jetzt altes Blut.« Die Ärztin warf ihre Handschuhe in den Abfall. »Manchmal passieren diese Dinge einfach. Aber wir werden Sie hierbehalten, um Sie überwachen zu können. Frühestens vierundzwanzig Stunden nach der letzten
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