All unsere Traeume - Roman
neben ihr saß in ihrem Sessel, das Nachthemd zur Seite geschoben, und versuchte zu stillen. Das Baby gab grunzende, suchende Geräusche von sich, wie ein winziges Ferkel. Die Frau gegenüber von Romily war die einzige andere auf dieser Station, die kein Baby bei sich hatte. Ihre Zwillinge waren auf der Pflegestation. Sie war sie besuchen gegangen und vor einer halben Stunde weinend zurückgekommen. Jetzt schlief sie.
Romily zog das Ultraschallbild unter ihrem Kopfkissen hervor. In dem trüben Licht, allein, besah sie sich jede Einzelheit.
»Es gefällt mir nicht«, sagte Claire mit leiser Stimme. In dem anderen Doppelbett lag die schlafende Posie und atmete tief und gleichmäßig. Ihr Mund war offen, und ihre Nase und Wangen waren mit Sommersprossen übersät.
»Mir auch nicht.« Ben zog sich die Krawatte ab und begann, sein Hemd aufzuknöpfen. »Ich hatte eine Heidenangst.«
»Ich meine, ich weiß, dass Romily ein Anrecht darauf hat, ihr eigenes Leben zu führen, aber ich komme mir vor wie eine Geisel des Schicksals. Es ist ja nicht so, dass ich ihr nicht vertraue, aber ich finde doch, dass sie … ein wenig leichtsinnig ist.«
»Ich glaube nicht, dass es Leichtsinn war.« Er hängte seine Hose über einen Stuhl und kletterte neben Claire ins Bett.
»Vielleicht nicht Leichtsinn. Aber ich bin mir nicht sicher, dass sie diese Dinge wirklich gründlich durchdenkt.«
Ben nickte. »Und dann dieser Jarvis. Wie kann man jemandem vertrauen, der seine schwangere Freundin im Stich lässt?«
»Ich weiß es nicht.« Claire warf Posie einen Blick zu.
»An erster Stelle ist man immer der Sorge um das eigene Kind verpflichtet. Immer. Und er hat Romily zurückgelassen, und sie durfte sich allein damit herumschlagen.«
»Er scheint zu versuchen, es wiedergutzumachen.«
Ben schwieg einen Augenblick lang. »Du hast sie nicht gesehen, als er sie verlassen hat, als sie schwanger war. Sie hat versucht, tapfer zu sein. Du weißt, sie redet nicht gern über ihre Gefühle. Sie hatte schreckliche Angst.«
»Sie hat gesagt … sie hat gesagt, dass du sie überredet hast, Posie zu behalten. Das hast du mir nie erzählt.«
»Sie hat mich darum gebeten, es niemandem zu erzählen, und abgesehen davon gab es nichts zu erzählen. Ich habe sie nicht überredet. Ich habe mich nur mit ihr unterhalten. Sie hat ihre eigene Entscheidung getroffen, und es war die richtige. Er hatte nicht das geringste Interesse. Wer weiß, was er jetzt vorhat? Romily wäre ohne ihn auf jeden Fall nicht an diesem Strand gewesen.«
»Auf Sanddünen zu klettern, ist so typisch für Romily, findest du nicht?«, entgegnete Claire. »Wahrscheinlich hat sie Schmetterlinge gejagt oder so was. Sie denkt nicht nach, Ben. Sie hat noch nicht einmal um ein Ultraschallbild für uns gebeten, als wir nicht rechtzeitig da sein konnten.«
»Es ist nicht Romilys Schuld. Sie war völlig durcheinander.«
»Aber wir wissen nichts. Wir konnten nicht selbst mit den Ärzten reden. Wir haben alles aus zweiter Hand. Wenn sie sie im Krankenhaus behalten, scheinen sie sich immer noch Sorgen zu machen.«
»Wir werden sehen. Notfalls lassen wir privat einen Ultraschall machen.« Ben schaltete das Licht aus. »Man muss sich um sie kümmern, so viel ist mal klar.«
»Ich fühle mich so machtlos.«
»Es ist ein harter Tag gewesen. Lass uns jetzt schlafen.« Er küsste sie und legte sich hin.
Ben konnte nachts immer schlafen. Es war, als würde er die Sorgen und Probleme des Tages zusammen mit der Kleidung, die er getragen hatte, ablegen. Nach wenigen Minuten atmete er schon tief. Sie hatten das Licht im Badezimmer für Posie angelassen, für den Fall, dass sie aufwachen sollte. In dem Halbdunkel lag Claire da und starrte an die leere Decke, wach und allein.
Eine Million Mal
R omily wollte gerade vom Sofa aufstehen und zu Bett gehen, als es an der Tür klopfte. Sie steckte das Foto zurück zwischen die Seiten ihres Notizbuches, schob das Notizbuch unter ein Sofakissen und kam mühsam auf die Beine – beziehungsweise auf ein Bein, da sie mit ihrem verbundenen linken Fuß nicht auftreten konnte. Sie hüpfte zum Sessel, hielt sich an der Rückenlehne fest und hüpfte dann die restliche Strecke bis zur Tür.
»Wehe, das ist ein besessener Triebtäter. Dafür hüpf ich hier jedenfalls nicht rum«, murmelte sie, legte die Kette vor und öffnete die Tür.
Es war Jarvis. Er hatte sich umgezogen, seitdem sie ihn am Vormittag im Krankenhaus gesehen hatte: Jeans und einen schwarzen
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