Allan - Die Suche nach dem Ich (Band 2) (German Edition)
Blut begann bereits zu gerinnen. Ihre Augen ... Sie ließen ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen. Sie waren weit aufgerissen und strahlten eine Angst aus, welche er noch nie zuvor in den Augen anderer gesehen hatte. Er ließ sich neben ihr nieder und nahm ihren Kopf in seine Hände. Ein letztes Mal gab er ihr unter Tränen einen Kuss - ihre Lippen waren blau und eiskalt -, dann schloss er mit den Fingerspitzen ihre Augen. Er fragte sich, was er mit ihrem Leichnam machen sollte. Zuerst musste er sich um Nalla kümmern, dann würde er sie zurück nach Okrai bringen - sofern noch jemand zur Stelle sein würde, der sich ihrer annehmen könnte. Die Moags hatten dort gewiss schon ihr Lager aufgeschlagen.
Plötzlich hörte er Mana stöhnen. Sie schwebte neben ihm auf und ab und deutete mit ihren ... Armen? Ja, vermutlich waren es Arme ... in Richtung Eisinsel. Auf ihr stand ein regungsloser Schatten. Er wusste, wer da auf ihn wartete: sein Bruder. Bruder ... Dieses Wort war für ihn nie von Bedeutung gewesen, schließlich war er ein Einzelkind - das hatte er zumindest gedacht. Doch heute, an diesem so schicksalsträchtigen Tag, hatte er erfahren, dass er einen Zwillingsbruder hatte, der dazu auch noch die Weltherrschaft an sich reißen wollte - und am Tod ihm geliebter Menschen verantwortlich war. In diesem Augenblick musste er an Enola denken. Sie war ihm auf den Weg nach Heravina abspenstig gemacht worden. Er hatte in dem Pfuhl im Gebirge sein Spiegelbild gesehen. Nun wusste er, dass nicht sein Gesicht, sondern Nallas ihm entgegengegrinst hatte. Dieser Bastard hatte ihm seiner Stute beraubt, doch war er ohne sie nach Bluabon gekommen. Wo war sie? War ihr etwas zugestoßen? Sein Weg führte ihn Richtung Eisinsel, nur so würde er erfahren, was aus seiner treuen Wegbegleiterin geworden war. Wenn er ihr irgendetwas angetan hatte ... Igos und Sinalia hatte er ihm schon genommen, nicht auch noch Enola. Nun erklärte sich ihm auch, was mit Korin geschehen war: Niemand anderer als Nalla oder Igo´ Rabtoris musste für ihren Tod verantwortlich gewesen sein. Er konnte sich nicht vorstellen, dass irgendein anderes Wesen einen Menschen so schrecklich hätte zurichten können. Um ihr Ziel zu erreichen, war ihnen jedes Mittel recht.
Ein dunkelbrauner, morscher Holzsteg unter seinen Füßen führte ihn zur Eisinsel, auf der sein Bruder wahrscheinlich sehnsüchtig auf ihn wartete - nur um ihn zu töten. Das würde ihm nicht gelingen. Dafür lag Allan zu viel an Heravina, Sinalia, Igos, Noma ... und Tylonia. Er sehnte sich so sehr zurück in seine Heimat. Wie es den Menschen im Piron-Wald wohl erging? Sie würden staunen, wenn er ihnen von seinen Erlebnissen und von seiner Vergangenheit erzählen würde. Niemand hätte sich vermutlich jemals denken können, wo Allan herstammte und was für eine Familiengeschichte er mit sich trug - von der er bis eben selbst noch nichts gewusst hatte.
Je näher er der Insel kam, desto deutlicher wurden die Konturen des Schemens. Sein Gesicht kleidete immer noch die Maske. Weshalb er sie trug, brauchte Allan sich nicht fragen, schließlich verfügte sie über magische Fähigkeiten. Doch war er etwa so feige, dass er ohne Maske nicht gegen ihn antreten würde? Er sah, dass er ein Schwert in seiner Hand hielt. Damit würde er sich also verteidigen. Wenn er ihm allerdings zu gefährlich werden sollte, würde er gewiss seine Magie zum Einsatz bringen. Er durfte sich nicht unbedacht in das Gefecht begeben, musste Vorsicht walten lassen. Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf: Wieso begab er sich überhaupt in diesen Kampf? Wäre er wirklich bereit bis zum Äußersten zu gehen und seinen Bruder womöglich zu töten? Ja, das war er. Auch wenn er und Nalla dasselbe Blut in sich trugen, so war er nicht sein Bruder. Er hatte ihn erst am heutigen Tage kennengelernt, zuvor hatte er nichts von ihm gewusst. Abgesehen davon war er niederträchtig und würde alles dafür tun, um die Macht über Heravina zu erlangen - er hatte ihm seine Lieben genommen, das würde er ihm nie verzeihen. Also ja, er war bereit bis zum Äußersten zu gehen und ihn zu töten. Nur so würde Frieden in das Land einkehren. Abgesehen davon stand ihm eine weitere Reise bevor: Er wollte zurück nach Tylonia und nur, wenn er dem Händler seine Maske zurückbringen würde, sollte er den Weg in seine Heimat gezeigt bekommen.
Nalla war mit dem Rücken zu ihm gerichtet, doch scheinbar spürte er, dass sich ihm jemand näherte. Er
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