Allan - Die Suche nach dem Ich (Band 2) (German Edition)
aus den Ärmeln lugten. Daraufhin lösten sich die vermeintlichen Körper auf und ließen lediglich die leeren Mantelhüllen auf den Straßen zurück. Der alte Mann wandte sich um und sah, dass mit dem Moag in seinem Haus dasselbe geschehen war. Vor ihm befand sich nur noch der schwarze Mantel, von der Kreatur war nichts mehr zu sehen.
Langsam verließen die Einwohner Okrais ihre Häuser und blickten irritiert durch die Straßen. Sie konnten nicht glauben, was soeben passiert war. So schnell, wie sie die Stadt eingenommen hatten, so rasch waren sie urplötzlich verschwunden - und niemand von ihnen kannte den Grund. Doch das scherte sie auch nicht. Sie freuten sich, dass diese Biester endlich fort waren und so wie es aussah, würden sie die Okrainer nie wieder belästigen.
Das Grab war eingegangen wie Obst in der Sonne, vielmehr war es abgesackt. Die Erde war sehr feucht gewesen, doch irgendetwas hatte dafür gesorgt, dass ein zwei Fuß tiefes Loch den Boden zierte. Alles wirkte ruhig, die Sonne schien zwischen den Bäumen hindurch, ein laues Lüftchen wehte und die Vögel gaben ihren Gesang zum Besten. Aber der Schein trog.
Es bebte. Zuerst nur sachte, allerdings riss schnell der Boden auf und hinterließ ein faustgroßes Loch. Und plötzlich fasste eine Hand durch die Öffnung hindurch. Sie begann, die umliegende Erde wegzuräumen, wodurch das Loch größer wurde und ein Arm zum Vorschein kam. Darauf folgte eine weitere Hand, die noch mehr Erde wegschaufelte. Bald waren zwei Arme freigelegt, die den Rest des dazugehörigen Körpers hinauszogen. Eine verschmutzte, jedoch wunderschöne, junge Frau in einem Kleid aus dunklem Grün und einer Haarpracht in ebendieser Farbe kämpfte sich aus ihrem Gefängnis heraus. Sie klopfte sich den Dreck von ihrer Kleidung ab und schlug zielstrebig eine Richtung ein: Okrai. Dort würde sie hoffentlich Allan wiedertreffen. Er hatte sie zurück ins Leben geholt. Dafür würde sie ihm ewig dankbar sein.
Die Schwärze lichtete sich langsam, die Nebelschwaden zogen von dannen und die Kopfschmerzen ließen allmählich nach. Allan öffnete seine schweren Augen und schloss sie sofort wieder. Direkt über ihm stand die Sonne, welche ihm auf den Schädel brannte. Er musste hier weg, ehe das Dröhnen in den Schläfen wiederkommen würde.
Er befand sich immer noch auf dem Steg - sie endete im Wasser. Die Eisinsel war vollkommen auseinandergebrochen, ihre Einzelteile trieb die Strömung des Meeres fort. Von einem Kampf und einem Höllenreiter war keine Spur mehr zu sehen. Allan wandte sich um und verließ den Steg. Plötzlich schwebte Mana um ihn herum. Sie wirkte, als wäre sie erfreut. So aufgeregt hatte er sie noch nie gesehen. Sie stöhnte. Obwohl er sie nicht verstand, wusste er, dass sie sich bei ihm bedankte - dafür, dass er sich für Brents Tod gerächt hatte.
»Das habe ich gerne getan.« Schließlich war es auch seine ganz persönliche Rache gewesen. Mana schwebte über das Gebirge hinweg und verschwand. Eine merkwürdige Kreatur, diese Seelenlose.
Sein erster Weg führte ihn in die Höhle, in der er Igos´ Leiche mit dem Pfeil im Schädel an die Mauer gekettet vermutete - jedoch war er nicht mehr da. Einzig der Schemel stand noch dort, aber der Älteste war verschwunden. Er blickte mit aufgerissenem Mund auf die Ketten und vergaß beinahe zu atmen. Wo war er hin? Wie konnte er von diesem Ort weggeschafft worden sein? Er hätte es doch mitbekommen - oder etwa nicht? Was auch immer geschehen war, er würde es nicht erfahren. Igos war verschwunden und daran konnte er nichts ändern. Allan verließ die Höhle und begab sich zu Sinalia, neben der Igo´ Rabtoris lag. Warum holte ihn nicht auch dieser Pestis? Behutsam hob er seine Freundin vom Boden und legte sie sich vorsichtig über die Schulter. Dann machte er sich auf, das umliegende Gebirge zu durchqueren.
Der Weg nach Okrai stellte sich als sehr mühsam heraus. Was hatte er erwartet? Dass er hundert Pfund ohne Probleme auf der Schulter in die Stadt bringen könnte? Er wünschte sich Enola herbei. Wo sie zu Tode gekommen war, wusste er noch nicht einmal. Dieses Monster hatte sie mit ihren gebrochenen Läufen einfach verenden lassen. Er wollte nicht daran denken, welche Schmerzen sie hatte erleiden müssen. Er würde sie gerne zurück in den Piron-Wald bringen und sie beerdigen, doch wusste er nicht, wo sie war. Und vermutlich würde er das auch niemals erfahren. So viele Fragen blieben offen, obwohl er schon so viele
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