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Alle auf Anfang - Roman

Alle auf Anfang - Roman

Titel: Alle auf Anfang - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Zaplin
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trifft ihn das Aufleuchten in Jaspers Augen. Anselm konzentriert sich auf den Geschwindigkeitsanzeiger, versucht, ganz genau hundertdreißig zu fahren.
    »Ein kluger Mann hat einmal gesagt: Ich kann, weil ich weiß, was ich muss. Du bist immer schuld. Egal, was du machst.«
    Jasper schluckt.
    »Würden Sie«, beginnt er, korrigiert sich: »Würdest du das deinem Sohn so sagen?«
    Ich habe keinen Sohn, denkt Anselm.
    »Ja«, sagt er, »genau so.«
    Schweigen bis Nürnberg.
Beeil dich, Jasper, du kommst zu spät!
    Hatte Alma durchs Treppenhaus gerufen wie jeden Morgen. Der Satz war gegen die Wand geschlagen, von dort ans Geländer geknallt und in einzelne Worte zerbrochen. Beeil. Dich. Kommst. Spät. Lauter kleine Buchstaben waren die Stufen hinuntergekullert und am Treppenabsatz liegen geblieben. Morgen für Morgen fand Jasper sie dort, wenn er zum Frühstück hinunterkam. Manchmal rutschte er auf ihnen aus, manchmal kickte er einen der Buchstaben in die Diele hinein oder nagelte einen anderen mit dem Absatz in den Teppich. Kam er mittags aus der Schule heim, waren trotzdem immer alle fort. Alle Buchstaben, sämtliche Wörter. Der ganze Satz.
    »Beeil dich, Jasper, du kommst zu spät!«
    Jeans und Polohemd lagen im Bad bereit, gewaschen und gebügelt von der Zugehfrau, ausgewählt und bereitgelegt von Alma. Jeder muss wissen, was er zu tun hat. Wo sein Platz ist. Beim Frühstück war Almas Platz immer am Kopf des Tisches, Jasper saß stets mit dem Blick zum Garten. »Damit dein erster Blick am Tag hinaus ins Grüne geht.« Soll die Sinne öffnen. Sagt Alma. So war es auch an diesem Morgen, Alma vorn, Jasper quer, Müsli und Marmeladentoast.
    »Was liegt heute an?« Alma.
    »Keine Ahnung.« Jasper.
    »Bitte gewöhn dir endlich diese Nonsensantwort ab. Immer sagst du nur: keine Ahnung. Du hast doch mehr im Kopf als keine Ahnung. Schreibt ihr denn keine Tests heute?«
    »Nö.«
    »Was ist mit Englisch?«
    »Was soll sein?«
    »Die Schulaufgabe.«
    »Verschoben.«
    »Und Deutsch?«
    »War letzte Woche.«
    »Wieso weiß ich denn davon nichts?«
    »Hab ich dir erzählt.«
    »Und wie war’s?«
    »Keine Ahnung.«
    »Jasper!«
    »Haben wir noch nicht zurück.«
    »Wie ist sie denn gelaufen?«
    »Ganz gut soweit.«
    »Und was steht noch an bis zu den Ferien?«
    »Nicht mehr viel.«
    »Brauchst du noch Unterstützung?«
    »Passt schon.«
    An zwei Nachmittagen in der Woche kam ein Nachhilfelehrer, das war ihm ohnehin schon zu viel. Er legte den Löffel in die leer gelöffelte Müslischale, stand auf, nahm die Dose mit dem Pausensnack und stopfte sie in den Schulrucksack.
    »Ich wünsche dir einen schönen Tag, Jasper«, sagte seine Mutter und stand ebenfalls auf. Verlegen sah sie auf ihre Hände. Frau Doktor Lund konnte ein OP-Besteck festhalten, mehr nicht.
    Er ging grußlos wie immer, holte sein Fahrrad aus der Garage und fuhr los. Ein kleines Stück Holz hatte sich im Rahmen verhakt und schlug jetzt beim Fahren gegen die Speichen. Kein übler Rhythmus. Schulwegrap. Morgen Halbschlaf Speichenspiele Trampelpfad durch Traumlandschaft-Rap. Verhasste Öde von der andere träumen wohnen müssen wo andere Urlaub machen dürfen-Rap. Ratata, ratata. Machte fast schon Spaß. Spaß. Spaß. Bis zur Straße.
    Da bogen von den anderen Trampelpfaden die anderen ein. Jasper bremste. Rata, rata. Er hielt sich zurück. Ra. Ta. Es half trotzdem nichts. »Jasper, du Opfer!«
    Ben von hinten. Ben neben ihm, blies ihm ins Ohr. »Diss den Jasper.« Ben vorüber, trotzdem war ihm schlecht. Ra. Er blieb stehen. Ta. Wusste wieder, warum er sonst nur Schritttempo fuhr. Seine ganzen Ausreden fürs Zuspätkommen im Kopf abgespeichert. Mal war es Ben, mal Max, mal ein anderer. Er ließ sie alle vorüberfahren, ihr Opfergekreisch flog ihnen hinterher und verklang. Stille. Erst als er in der Ferne den Schulgong hörte, fuhr er langsam weiter, über die Straße, über den Pausenhof bis zum Eingang. Zögernd stellte er das Fahrrad ab.
    »Bist du krank, Jasper?«, fragte jemand hinter ihm. Lena aus seiner Klasse. Was für eine Gelegenheit!
    »Mir ist schlecht«, sagte er schnell. Das war nicht einmal gelogen.
    »Soll ich dich entschuldigen?«, fragte Lena. Jasper nickte. Da war sie auch schon weg, auf den Eingang zugelaufen, durch die Glastür verschwunden. Hatte ihm gerade einen Tag geschenkt, einfach so. Am Abend würde er seine Mutter bitten, ihm eine Entschuldigung zu schreiben. Bis dahin hatte er Zeit.
    Er nahm das Rad und fuhr auf kleinen Nebenstraßen

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