Alle auf Anfang - Roman
Glück wie ein Hund. Hört auf ihn, gehört ihm, endlich.
»Ja«, sagt er. Pfeilspitz und schnell. Soll sie ihm gehören, trotz allem. Trotz Whisky und auch, wenn sie vielleicht nur betrunken ist. Zieht er sich aus. Berührt sie. Drängt sie, hin zum Ledersofa. Sie will das. Sagt er sich. Nimmt sie und fühlt nichts, nur Haut und Haare. Ist er in ihr und küsst sie und schmeckt noch den Whisky, wieder den Whisky, und sie verschließt ihre Lippen und bleibt stumm, so stumm in seinem Keuchen, bis er schreit. Ist das Glück?
Als er fertig ist, schiebt sie ihn von sich herunter und steht auf. Jetzt schwankt sie. Zieht sich an. »Kein Wort über Jasper«, sagt sie. »Du hast ihn nicht dort gesehen, wo der Unfall passiert ist. Hörst du?«
Bleibt er liegen auf dem Sofa, gefällt, sieht sie an. Jasper. Nicht mehr als ein Geschäft für sie. Aber er hat noch den Joker in der Hand. Hat noch nichts versprochen. Sieht sie an, wie sie wartet. In Hemd und Rock und trotzdem entlaubt. Kann sie ihn nie mehr beherrschen. Heute folgt das Glück ihm. Vielleicht nie mehr wieder.
»Fünftausend Euro«, sagt er.
Sie schwankt. Sieht ihn von unten her an, verständnislos der Blick.
»Wie bitte?«, fragt sie heiser.
»Fünftausend.« Kann er so ruhig sprechen wie sonst sie. »Ich warte. Bis zum ersten Bus.«
Fee im Schneckenhaus der Bushaltestelle
Wie liegt die Katze auf der Bank? Eingerollt wie ein Knäuel. Sie versucht, es nachzumachen, rollt sich zusammen auf dem harten Schalensitz, so gut es geht. Schlingt die Arme um die Knie und legt den Kopf in die Beuge. Finster ist die Nacht, und im Dunkeln lauern die Räuber, das weiß man doch.
Sie lugt über den Ellbogen hinweg auf die Straße vor dem Wartehäuschen. Bewegt sich da nicht etwas? Kommen sie schon, die Räuber? Immerhin, sie ist in Sicherheit. Hat ein Dach über dem Kopf und eine Bank zum Liegen. Noch fester rollt sie sich zusammen. Sie ist die Katze auf der Ofenbank. Keine Angst, sagt sie zum Hund. Und der Esel nickt, und über ihm kräht der Hahn sein Kikeriki. Sollen sie nur kommen, die Räuber. Gemeinsam werden sie schon fertig mit denen.
Du, Hahn, flieg schon mal aufs Dach hinauf. Und du, Esel, jag sie in die Flucht mit deinem Geschrei. Vergiss nicht, Hund, du musst draußen Wache halten. Denn du witterst sie als Erster, die Räuber. Horch! Was ist das?
Ein heller Ton. Ganz hoch. Wie die Uhr mit den Vogelstimmen zu Hause in der Küche. Das muss ein Vogel sein. Erst fragt er nur. Bist du da, kleine Fee? Ja, sagt er dann, ich sehe dich. Schlaf nur. Wir passen schon auf, der Hund und ich.
Und beginnt zu singen und singt und singt sie in den Schlaf.
Urs sitzt noch an Claudias Bett
Und beobachtet ihr Gesicht. Eben haben die kleinen Muskeln rings um die Augen ganz leicht gezuckt. Keinen Moment lässt er sie aus dem Blick. Was, wenn sie jetzt aufwacht?
Ängstlich wartet er auf ein weiteres Zucken und legt sich in Windeseile ein paar Sätze zurecht. Du hattest einen Unfall, Lämmchen. Dass ihm dies Wort wieder einfällt. So hat er sie anfangs genannt, nur für sich, wenn er ihr von der Mitternachtssonne vorlas. Ihr gegenüber hat er den Namen nie gebraucht, er wäre sich albern vorgekommen. Du hast überlebt, Lämmchen. Du bist über den Berg. Alles wird gut. Nein, dieser Satz würde nicht über seine Lippen kommen. Nie würde sie ihn glauben, würde er ihn glauben. Ist das nicht schon wieder so ein Zucken gewesen? Wo ist eigentlich der Arzt? Es gibt doch gewiss ein erprobtes Vokabular für eine solche Situation. Die Vorstellung, Claudia über die Tragweite ihres Unfalls hinreichend in Kenntnis zu setzen, bereitet ihm weit größere Qualen als der Gedanke an das Bild selbst: Claudia im Rollstuhl.
Wenn eine Tatsache unabänderlich ist, dann besitzt das Wissen um die zur Verfügung stehenden Hilfsangebote beinahe etwas Tröstliches. Rollstuhl. Krankengymnastik. Reha-Maßnahme. Zu Hause würde er sich an den Computer setzen, ein paar Begriffe googeln, und schon morgen wäre er Experte in Sachen Unfallfolgeschäden und passende Therapieangebote. Genauso ist es in den Wochen nach der Geburt der Kleinen gewesen, als das Baby tags und nachts nur schrie. Bald hatte er alle Bauchwehtropfen, Darmöle, Massagegriffe und schließlich die Telefonnummer der Schreisprechstunde ausfindig gemacht. Und muss nicht auch eine Versicherung etwas zahlen? Das Auto ist zerstört, und der alte Benz würde es auch nicht mehr lange machen.
Wieder zuckt es um ihre Augen herum. Es scheint ihm, als
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