Alle lieben Emma
und die Birkenstocks standen ordentlich nebeneinander unter ihrem Bett. All ihre anderen Klamotten hatte sie in die Kommode geräumt, die neben ihrem Bett stand. Darauf lagen ein Stapel Notenhefte und Monas Flötenetui. Neben der Kommode stand ein roter Notenständer.
Ich verzog das Gesicht. Es sah ganz so aus, als wenn sie hier tatsächlich Flöte üben wollte. Konnte sie damit in den Ferien nicht mal Pause machen? Reichte es nicht, dass sie mein Zimmer mit dem Gestank ihres fetten Kaninchens verpestete? Musste sie auch noch auf ihrer Flöte herumquietschen?
Vielleicht sollte ich einfach ein Tuch vor das Raumteiler-Regal hängen, dann musste ich wenigstens nicht andauernd sehen, wie ungemütlich ordentlich es in ihrer Ecke war. Gegen den Gestank und das Flötengedudel würde das allerdings auch nichts bringen. Eins war sicher: Die Nebelkrähe war und blieb ein Störfaktor.
Ich wühlte in den Regalen, bis ich mein Sparschwein gefunden hatte. Schon nach sensationellen viereinhalb Minuten entdeckte ich es unter einer Baseballkappe, einer zerrissenen Socke und einem Stapel zerfledderter Comics. Da soll Mama noch mal sagen, dass man bei mir nichts wieder findet. In meinem Zimmer herrscht zwar Chaos, aber Chaos mit System!
Zufrieden kletterte ich die Bodentreppe hinunter und ging in die Küche. Ich war froh, dass ich Monas Schnarchen nicht mehr hören musste. Das konnte einem wirklich den letzten Nerv rauben. Im restlichen Haus war es ganz still, Mama und Tim schliefen noch. Kein Wunder, es war schließlich gerade mal Viertel nach sieben. Wie schon gesagt, wenn ich nicht gerade Mathe in der ersten Stunde habe, stehe ich gerne etwas früher auf.
Paul sprang aus seinem Korb und begrüßte mich schwanzwedelnd. Er weiß genau, dass er sein Futter kriegt, wenn ich morgens in die Küche komme. Ich ging auf den Hof und füllte Pauls Fressnapf mit Trockenfutter. Paul lief hinter mir her. Aber statt sich gleich auf sein Futter zu stürzen, fing er plötzlich an zu bellen und rannte zum Atelier. Auf der Wiese zwischen den Apfelbäumen stand jemand und machte komische Verrenkungen. Gesa! Sie hob die Arme über den Kopf und senkte sie wieder. Wie ein großer Vogel. Kein Wunder, dachte ich, sie ist ja auch die Mutter einer Nebelkrähe. (Ha, ha!) Sie bewegte sich so langsam, dass es aussah wie ein Film in Zeitlupe. Dabei hatte sie die Augen geschlossen. Vielleicht war sie ja auch Schlafwandler in!
Paul sprang an ihr hoch und sie machte die Augen auf. Als sie mich sah, winkte sie und ich ging zu ihr rüber.
»Guten Morgen, Emma«, sagte Gesa. »Na, auch schon wach?«
Ich nickte. »Was machst du denn da?«
»Shi-Gong«, antwortete Gesa.
»Shi-was?«
»Shi-Gong. Das ist eine alte chinesische Heilkunst für Körper und Geist.«
Ich konnte mir nicht so richtig vorstellen, wie es einen heilen sollte, wenn man Vogel in Zeitlupe spielte. Außerdem war Gesa doch gar nicht krank. Zumindest sah sie nicht so aus.
»Willst du mitmachen?«, fragte Gesa. »Das macht Spaß! Die Übung heißt »Die Krähe«.«
Ich musste lachen, aber ich hielt mir schnell die Hand vor den Mund. Ich wollte Gesa lieber nicht erklären, was ich daran so lustig fand.
»Nee, danke«, sagte ich. »Ich hab noch was anderes vor.«
»Okay, dann bis nachher«, sagte Gesa und schloss wieder die Augen.
Jetzt hatten wir also zwei Nebelkrähen im Haus. Spitze!
Ich ging hinein, setzte mich an den Küchentisch und versuchte, mit einem Messer Geld aus meinem Sparschwein zu pulen. Das klappte aber nicht so richtig. Als nach fünf Minuten gerade mal zwei Euro fünfundfünfzig vor mir auf dem Tisch lagen, reichte es mir. Bei dem Tempo würde ich heute Mittag noch hier sitzen und mit dem Messer im Sparschwein herumstochern. Leider hatte ich den Schlüssel schon vor ewigen Zeiten verloren. Wozu brauchte ich das alte Ding eigentlich noch? Besonders schön war es sowieso nicht. Ein Werbegeschenk von der Sparkasse, das ich irgendwann mal beim Weltspartag geschenkt bekommen hatte.
Außerdem war Sparen sowieso nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung. Meistens gab ich mein Taschengeld sofort wieder aus, am liebsten für Eis, Süßigkeiten oder Comics. In das Sparschwein hatte ich schon seit Ewigkeiten nichts mehr gesteckt. Es wurde Zeit, dass das Geld da drin mal wieder ans Tageslicht kam, ehe es in dem dunklen Schweinebauch Schimmel ansetzte.
Ich nahm das Sparschwein in die Hand, wünschte ihm einen guten Flug und ließ es fallen.
Klirr! Das Schwein landete auf dem Boden
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