'Alle meine Kinder'
und auf die Bühne zu stellen, und Decken mit Leopardenfellmuster über die Sofas und Sessel gebreitet. Für das Geburtstagskind stand ein Thron bereit. Das Mädchen bahnte sich durch ein Meer von Papierfähnchen und Ballons den Weg auf die Bühne und ließ sich auf einem Berg von Kissen auf dem mittleren Sessel nieder.
Die Mutter hatte einen Lokalsender eingeladen, die Geburtstagsfeier zu filmen, um dieses Beispiel von noblesse oblige gebührend hervorzuheben, in der Hoffnung, dass andere ihm folgen würden. Als alle Scheinwerfer auf das Mädchen gerichtet waren, bekam es eine Geburtstagstorte überreicht. Die Gäste brachten ihm ein Geburtstagsständchen, erst auf Amharisch und dann (die Privatschüler) auf Französisch und Englisch. Das Mädchen schloss die Augen, wünschte sich etwas und blies die Kerzen aus. Alle klatschten höflich; einige der Kinder stießen Jubelrufe aus. Von Haregewoins Kindern kannte kaum eines das eigene Geburtsdatum; die meisten konnten ihr Alter nur schätzen. Aus ihrer Sicht schienen Geburtstage - wie Mütter - reichen Kindern vorbehalten zu sein.
Die Torte wurde auf Papptellern serviert. Das schwedische Kindermädchen nahm von den Privatschülern eingewickelte Geschenke entgegen und verstaute sie in der Nähe des Eingangs in großen Einkaufstaschen. Ein drei Jahre altes Mädchen namens Sara stopfte sich Torte in den Mund, stapfte über den Hof und sagte auf Amharisch: »Hm, das ist lecker. So was Leckeres habe ich noch nie gegessen.«
Nachdem die Torte ihren Blutzuckerspiegel in die Höhe getrieben hatten, spielten die Kinder aus den luxuriösen Eigenheimen und die Kinder aus dem armseligen Waisenheim eine Stunde lang ausgelassen Fangen und sprangen herum und jagten hinter Luftballons her, bis alle gleichermaßen staubbedeckt waren. Dann war das Fest plötzlich vorbei, draußen auf der Straße wurden die Motoren der Geländewagen angelassen, und das Geburtstagskind verteilte mit seiner Mutter kleine Tüten mit Geschenken an die Waisen. Obwohl Haregewoins Kinder inzwischen völlig verdreckt waren, durften sie der königlich aussehenden Dame die Hand schütteln, als sie sich bedankten. Praktisch ohne eine Miene zu verziehen, schüttelte sie kurz jede Menge magerer Hände und beugte sich sogar nach unten, um sich ein oder zwei klebrige Küsse auf die Wange geben zu lassen.
Die Kameraleute des Fernsehsenders packten ihre Ausrüstung zusammen, die Privatschüler trafen Verabredungen für den Rest des Nachmittags, und das schwedische Kindermädchen schleppte säckeweise Geschenke durch das Tor.
Nachdem die Geburtstagsgesellschaft verschwunden war, wurden Haregewoins Kinder ganz still. Überall auf dem staubigen Hof lagen zertretene pastellfarbene Papierfetzen und Bänder; von den Wänden hingen ein paar schlaffe Luftballons. Haregewoin ließ sich vor der Tür des Hauses auf einem Küchenstuhl nieder und rief die Kinder einzeln zu sich, um ihnen die neuen weißen Sachen auszuziehen. Sie würden gewaschen, getrocknet und weggeräumt werden, bis das nächste Mal Gäste kamen. Die älteren Jungen mussten die schweren Möbel zurück ins Haus tragen.
Wie im Märchen, wenn um Schlag zwölf der Zauber erlischt, wurden die Kinder wieder in ausgeleierte T-Shirts und ausgeblichene, fadenscheinige Shorts gesteckt. Der Festplatz wurde wieder zu einem Hof aus geborstenem Beton und nackter Erde.
Jedes Kind zog sich irgendwohin zurück, um in aller Ruhe den Inhalt seiner Geschenktüte zu inspizieren. Die billigen Gaben - Lutscher, Kaugummi, Pfefferminzbonbons - wurden gezählt, aufgereiht, berochen, genau untersucht und schließlich ganz vorsichtig angeknabbert. Dann wurden sie wieder eingepackt und zurück in die Tüten gesteckt und irgendwo auf dem Hof versteckt. Einige Süßigkeiten würden die Kinder niemals essen, das Vergnügen, sie zu besitzen, überwog das des flüchtigen Genusses.
Haregewoin empfand eine leichte Niedergeschlagenheit, als alles vorbei war, als der Hof wieder aussah wie immer und sie wieder eine arme Frau war. Die Fernsehkameras hatten ihr gefallen; die Botschafterfrauen hatten ihr gefallen; sie hatte die Aufmerksamkeit genossen. Es erfüllte sie mit Stolz, sich zu ihren Kindern zu bekennen, zu den Waisen, aber sie war auch stolz darauf, als jemand gesehen zu werden, der etwas anderes war. Die reiche Dame hatte ihr ein Gefühl der Gleichheit vermittelt, als würde zwischen ihnen eine Verbindung geschaffen, indem sie beide den Kindern in der Gosse eine helfende Hand
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