'Alle meine Kinder'
musste, dass es mehr Ärzte, Krankenhäuser und Gesundheitszentren gab. Man ging davon aus, dass man mit den Medikamenten, wenn man sie in großem Umfang einsetzte und dabei einem systematischen geographischen und zeitlichen Plan folgte, eine bestimmte Krankheit, die die gesamte Bevölkerung in ihrem Griff hielt, zum Rückzug zwingen könnte.
Die Krankheit, bei der man die schnellsten und durchgreifendsten Erfolge erzielte, war Frambösie. Dieses schmerzhafte Leiden, verbreitet durch einen Mikroorganismus, konnte zu völliger Invalidität führen. Es trat in armen und abgelegenen ländlichen tropischen Gegenden auf, und man zog es sich durch Hautverletzungen zu. In den frühen 1950er-Jahren gab es Schätzungen zufolge weltweit etwa 20 Millionen Fälle […] Die Entdeckung des Penicillins veränderte die Aussichten auf Heilung völlig. Eine Injektion brachte die hässlichen rosa Pusteln zum Verschwinden, und ein paar weitere Injektionen befreiten den Körper von der Krankheit. 52
Injektionen wurden auf dem gesamten Kontinent rasch als conditio sine qua non medizinischer Behandlung akzeptiert. Ein Arzt, der einer Infektion, einem Fieber, Erschöpfungszuständen oder auch einer gewöhnlichen Erkältung nicht mit einer Injektion zu Leibe rückte, galt als Betrüger gegenüber seinen Patienten. Traditionelle Heiler und Medizinmänner nahmen die neue Technologie rasch in ihr Repertoire auf. Untersuchungen aus den 1960er-Jahren zeigen, dass es in 25 bis 50 Prozent aller schwarzafrikanischen Haushalte jemanden gab, der innerhalb der letzten beiden Wochen eine Injektion erhalten hatte. 1990 wurden bei 60 bis 96 Prozent aller Hausbesuche Injektionen verabreicht. 53
In den 1950er-Jahren war in Afrika die angeborene Syphilis weit verbreitet, und man behandelte sie vornehmlich mit Penicillin-Injektionen. Zur gleichen Zeit injizierte man im Kampf gegen die Malaria Chloroquin. Die Kinderhilfsorganisation der Vereinten Nationen UNICEF verteilte zwischen 1952 und 1957 mehr als zwölf Millionen Penicillin-Injektionen, und weitere 35 Millionen bis 1963.
Im September 2000 legten Dr. Preston Marx und Dr. Ernest Drucker bei einer Londoner Konferenz der Royal Society über die »Ursprünge von Aids und der Aids-Epidemie« in ihrem Vortrag »Das Zeitalter der Injektion: Die Auswirkungen nicht steriler Massen-Injektionen auf die Entstehung menschlicher Pathogene« die Theorie dar, dass nicht sterile Injektionsnadeln für Aids verantwortlich seien. Marx und Drucker erwogen die Möglichkeit, dass mehrfach verwendete und nicht sterilisierte Spritzen HIV/Aids nicht nur verbreiteten, sondern hervorriefen, und zwar durch einen Vorgang, der einem von Laborforschern praktizierten Verfahren ähnelt und den man als serielle Passage bezeichnet.
In den 1880er-Jahren als Laborverfahren von Louis Pasteur entwickelt, ermöglicht die serielle Passage die beschleunigte Mutation eines Virus, indem man es Wirt A injiziert, ihm eine gewisse Zeit zur Inkubation lässt, dann das Virus von Wirt A auf Wirt B überträgt, von Wirt B auf Wirt C und immer weiter von einer Petrischale zur nächsten. Das Virus passt sich an das Immunsystem jedes Wirts an und verändert sich, bevor es entnommen und auf den nächsten Wirt übertragen wird. Carlsen schreibt: »Der Vorgang wurde bereits bei Experimenten mit Affen beobachtet, berichtete Marx seinen Kollegen. Simiane Viren entwickelten eine tausendmal höhere Pathogenität, wenn sie eine serielle Passage in nur drei verschiedenen Affen durchliefen.« 54
Die Theorie der seriellen Passage besagt, dass das verhältnismäßig harmlose Affen- oder Schimpansen-SIV, das im Blut einiger weniger Jäger oder Konsumenten von Affenfleisch zu finden war, sich - durch Millionen von Injektionen mit nicht sterilen Spritzen seit den 1950er-Jahren - in die monströse Pandemie verwandelt haben könnte.
»Wenn man ein schwach pathogenes Virus nimmt, das Affen-Virus«, erklärt Drucker, »und den Menschen damit infiziert, kann dieses Virus vielleicht ein paar Tage oder auch ein paar Wochen überleben, während es versucht, sich anzupassen. Und es beginnt tatsächlich, sich an den menschlichen Wirt anzupassen, aber der menschliche Wirt bekämpft es.
Aber wenn man - in der Zeit, in der es noch versucht, sich anzupassen - das Blut dieser Person auf jemand anderen überträgt (das ist im Grunde genommen das, was eine verunreinigte Injektionsnadel tut), dann gibt man das teilweise mutierte Virus an eine zweite Person weiter. Und diese
Weitere Kostenlose Bücher