'Alle meine Kinder'
darstellen, um der iatrogenen Verbreitung von Krankheiten ein Ende zu machen - aber wer soll das finanzieren? Das Budget der Weltgesundheitsorganisation reicht nicht aus, und die großzügigen Spender halten sich bis jetzt zurück.
Joe Schoenfeld, Vorsitzender von UNIVEC, einem US-amerikanischen Hersteller dieser Einmalspritzen, begrüßt die Theorie der seriellen Passage von Drucker und Marx: »Diese anerkannten Experten bekräftigen mit ihren Aussagen unsere Forderung nach der ausschließlichen Verwendung von AD-Spritzen bei Massenimpfungen und in Kliniken […]. Warum wird das von der medizinischen Welt beharrlich ignoriert? Der Gebrauch von Mehrwegspritzen sollte bei Impfkampagnen und klinischen Anwendungen auf der ganzen Welt verhindert werden. Nur wenn wir zu einer verbindlichen Regelung für Einwegspritzen übergehen, die bei allen Massenimpfprogrammen gilt, werden wir einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, Krankheiten weltweit auszurotten.« 60
Epidemiologen, die die HIV/Aids-Pandemie unter anderen Gesichtspunkten untersuchen (zum Beispiel durch das Protokollieren von »sexuellen Netzwerken« - wer schläft mit wem? Wie bald nach der Infektion kommt es zu weiteren sexuellen Kontakten?), kamen in Anbetracht der hohen Zahlen damit nicht weiter. Unsaubere Injektionen erlauben daher die interessante Theorie einer als Begleiterscheinung auftretenden Übertragung.
»Seit den späten 1980er-Jahren herrscht die Hypothese vor, dass in Afrika HIV in erster Linie durch den Kontakt zwischen Penis und Vagina übertragen wird«, sagt Dr. Richard Rothenberg, Herausgeber der Annals of Epidemiology und Professor für Infektionskrankheiten an der medizinischen Fakultät der Emory University. »Aber die verfügbaren Daten untermauern diese Hypothese nicht vollständig. Möglicherweise wurden wichtige Aspekte übersehen, die helfen könnten, die Wege der Ausbreitung zu verfolgen.« 61
Es gibt in Afrika beispielsweise Regionen, in denen öffentliche Gesundheitskampagnen erheblich zu sicheren Sexualpraktiken und zum Gebrauch von Kondomen beigetragen haben, und die Zahl sexuell übertragbarer Krankheiten sinkt, die Zahl von HIV-Infektionen jedoch steigt. Es gibt Fälle von Kindern, bei denen der Bluttest positiv ausfällt, obwohl keines der beiden Elternteile infiziert ist; von Ehefrauen, die seropositiv sind, ihre Ehemänner dagegen nicht und umgekehrt, und bei denen die Versicherung ehelicher Treue glaubwürdig erscheint. Die Vorwürfe und die Gewalt, die solche Testergebnisse nach sich ziehen, kann man sich kaum vorstellen. Und dabei haben sich die Kinder und die Ehefrauen und Ehemänner vielleicht durch nicht sterile Injektionen angesteckt.
Das populäre Klischee - dass zügellose Promiskuität und erhöhte sexuelle Aktivität die Aids-Epidemie in Afrika ausgelöst haben und andauern lassen - kann sich als außergewöhnlich grausames Beispiel für eine Schuldzuweisung an die Opfer herausstellen.
Die Hypothese der seriellen Passage - dass es sich bei Aids nicht um eine Zoonose handelt, die die Speziesbarriere überwunden hat, sondern um ein neues Virus, das durch die Injektionsnadeln und die Massenimpfungen in der Mitte des 20. Jahrhunderts geschaffen wurde - ist noch nicht endgültig bewiesen, aber die Forschungen laufen.
»Wir kennen den Ursprung«, sagt Marx, »aber nicht den Funken, der die Epidemie ausgelöst hat.« 62
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Sie fuhren auf dem Rücksitz eines Taxis von der Klinik nach Hause, Haregewoin hielt Atetegeb in den Armen. Sie bat den Fahrer, ihr dabei zu helfen, die Kranke in ihr Schlafzimmer zu bringen. Er zog fragend die Augenbrauen hoch. Die Angst vor ansteckenden Krankheiten ist in tropischen und subtropischen Ländern weit verbreitet. Den Bewohnern gemäßigter Klimazonen ist nicht bewusst, in welchem Maß ihre Kulturen aus Stahl und Glas auf dem Fundament alljährlicher Winter errichtet sind, während jene in tropischen Zonen von ansteckenden Parasiten, Viren, Insekten und Bakterien heimgesucht werden, die niemals von Eis und Kälte zurückgedrängt werden. Hatte die sterbende Frau Tuberkulose, Malaria, Masern, Kinderlähmung, Hepatitis, die Schlafkrankheit, Bilharziose (Flussblindheit), die grässliche neue Form von Auszehrung, die die Leute aminmina (mager) nannten?
»Krebs«, erklärte Haregewoin ihm.
In dieser Nacht rief sie Ashiber an. »Sie stirbt. Das ist das Ende.« Vielleicht hatte er Angst um seine eigene Gesundheit, jedenfalls ließ er sich nicht blicken.
»Ich habe dich so lieb«,
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