'Alle meine Kinder'
Einführung von Antibiotika in den 1950er-Jahren das ›Ereignis‹ in unserer Zeit war, das bei mehreren schwach pathogenen Simianen Viren, die seit langem in Schwarzafrika vorkamen, zu einer erhöhten Pathogenität führten und es ihnen erlaubten, sich genetisch vollständig an menschliche Wirte anzupassen und dann 1959 als erster epidemischer Stamm von HIV in Erscheinung zu treten.« 58 Die beiden Ärzte glauben, dass Hepatitis B und C auf die gleiche Weise entstanden sind.
»Die übliche Vorgehensweise«, erklärte Drucker, »bestand darin, diese Injektionen zu verabreichen und die Nadeln nur oberflächlich zu sterilisieren; wir wissen von einem Fall, als ein Arzt innerhalb von zwei Stunden 500 Menschen behandelt und dabei nur sechs Nadeln verwendet hat, die lediglich in eine Alkohollösung geworfen wurden. Der Gerechtigkeit halber muss gesagt werden, dass man das Penicillin und die anderen Medikamente für überaus wichtig und lebensrettend hielt, und die Nachteile, nämlich die Ansteckungen, zu denen es möglicherweise kommen würde, [wie] Hepatitis, hielt man nicht für besonders lebensbedrohlich, weil damals die Hepatitis-C-Infektion noch nicht bekannt war. Deshalb wurde also oft sehr, sehr schlampig verfahren, selbst in den Arztpraxen. Und außerhalb der Arztpraxen - in den sogenannten ›Landkliniken‹ oder der ›Buschmedizin‹ - lagen überall Nadeln, es lag überall Penicillin, auch andere zu injizierende Mittel, und es wurden unglaublich viele Injektionen verabreicht... Zwischen 1950 und 1960 stieg die Produktion von Nadeln von zehn Millionen auf eine Milliarde. Und heute werden weltweit jedes Jahr 40 Milliarden Nadeln hergestellt, viele davon werden wiederverwendet.
Aids ist nicht die einzige neu aufgetretene Krankheit, nicht wahr?«, fragte Drucker. »Wir haben es fortlaufend mit neuen Krankheiten zu tun - wie BSE -, die das Ergebnis von Technologien sind, über deren Auswirkungen wir uns nicht richtig im Klaren waren. Kühe sollten eigentlich kein tierisches Protein fressen; sie können sich nicht selbst schützen. Es sollte eigentlich kein Instrument geben, mit dem man Blut von einem Menschen auf einen anderen überträgt, wenn [das Blut] doch Träger einer tierischen Infektion sein könnte. Alle unsere Viruserkrankungen sind Übertragungen von tierischen Spezies, und was wir mit den Behandlungskampagnen mit nicht sterilen Nadeln und den nicht sterilen Injektionen weltweit angerichtet haben […] ist, einen Mechanismus dafür zu schaffen, aus schwach pathogenen tierischen Viren pathogene menschliche Viren entstehen zu lassen, für die wir der Wirt sind. Und ich glaube, wir stehen erst am Anfang dieser Geschichte, nicht am Ende.« 59
Die Geschichte fängt Druckers Meinung nach deshalb erst an, weil nach Schätzung der WHO weiterhin jedes Jahr weltweit 30 bis 50 Milliarden nicht sterile Injektionen verabreicht werden. Im Jahr 2000 wurden für 40 Prozent der Injektionen gebrauchte Nadeln verwendet. In manchen Ländern waren möglicherweise drei von vier Injektionen nicht sauber. Die WHO schätzt, dass unsaubere Injektionen weltweit jedes Jahr zu 80 000 bis 160 000 neuen HIV-1-Infektionen, acht bis 16 Millionen Hepatitis-B-Infektionen und 23 bis 47 Millionen Hepatitis-C-Infektionen führen (bei diesen Zahlen sind Transfusionen nicht mitgerechnet).
Selbst unter der Schirmherrschaft der Weltgesundheitsorganisation werden bei regionalen Immunisierungsprogrammen, die zehn Prozent aller Massenimpfungen ausmachen, schätzungsweise 30 Prozent der Injektionen mit unsauberen gebrauchten Spritzen durchgeführt. Noch 1998 empfahl die Weltgesundheitsorganisation, die Spritzen für Impfungen bis zu zweihundert Mal wiederzuverwenden, im Vertrauen auf Sterilisationsmethoden, die ihren eigenen Untersuchungen zufolge für gewöhnlich nicht angewandt werden.
Der Hauptgrund dafür ist ein unzureichender Nachschub an Spritzen und Nadeln. Die Instrumente werden oft wegen ihres kommerziellen Wertes wiederverwendet, verkauft oder recycelt.
Die technischen Voraussetzungen, um diese gefährliche Wiederverwendung von Nadeln zu verhindern, sind gegeben: Es wurden inzwischen sogenannte AD-Spritzen (für auto-disable) entwickelt, die nur die einmalige Verwendung zulassen; nach der Injektion wird die Nadel in den Kolben zurückgezogen. Die Hersteller sind auf eine Massenproduktion dieser Spritzen vorbereitet, aber sie sind teuer. Gesundheitsexperten sind sich darin einig, dass sichere Nadeln einen entscheidenden Schritt
Weitere Kostenlose Bücher