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'Alle meine Kinder'

'Alle meine Kinder'

Titel: 'Alle meine Kinder' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fay Greene
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weiß, Mitte vierzig, hatte eine sonnenverbrannte Haut und einen angenehmen, pragmatischen Umgangston. Sie schien den Eindruck zu haben, dass Haregewoin zu streng mit Genet war. »Vielleicht erwarten Sie zu viel von ihr?«, sagte sie eines Tages, als sie zusammensaßen. »Sie ist noch ein Kind.«
    Haregewoin verschluckte sich beinahe an ihrem Tee.
    »Ich mag sie sehr gern«, sagte die Krankenschwester.
    Haregewoin zog eine Augenbraue hoch und wartete.
    »Ich wohne allein in einer Dreizimmerwohnung. Ich habe keine Kinder.
    Haregewoin«, sagte sie plötzlich und drehte sich so, dass sie ihr in die Augen sehen konnte. »Was halten Sie davon, wenn ich Genet zu mir nehme? Ich könnte ihre Pflegemutter werden. Glauben Sie, dass MMM damit einverstanden wäre? Würde es Ihnen viel ausmachen, wenn sie nicht mehr bei Ihnen wohnt?«
    Das war für Haregewoin der Beweis, dass Gott Gebete manchmal erhörte. »Sie kann eine ziemliche Nervensäge sein«, erwiderte sie lachend. »Glauben Sie, dass Sie mit ihr fertig werden?«
    »Ich war selbst einmal in dem Alter! Wollen wir es Genet sagen?«
    »Ja«, sagte Haregewoin.
    Genet packte ihre Sachen zusammen und zog Ende der Woche aus, dabei machte sie ein Gesicht, als hätte sie schon immer gewusst, dass sie zu Höherem geboren war, als hätte sie nur die Zeit totgeschlagen, bis ihre große Chance kam. Haregewoin hielt lange Genets Hände umschlossen, blickte ihr tief in die Augen, aber Genet kicherte nur, strich sich eine mit Perlen geschmückte Haarsträhne aus der Stirn und sah weg, wobei sie ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden klopfte. »Sei brav«, bat Haregewoin und merkte, dass sie dabei genau wie der Leiter von MMM klang, als er Genet zu ihr gebracht hatte.
    Nachdem die Krankenschwester, mit Genet auf dem Beifahrersitz, davongefahren war, sprangen die Kleinen in die Luft und jubelten vor Freude, weil sie endlich von ihrer Unterdrückerin befreit waren.
    Haregewoin besaß eine Farbfotografie von Atetegeb mit dem Baby auf dem Arm. Sie ließ sie so weit vergrößern, dass alle Linien in weichen Pastellfarben verschwammen, rahmte das Bild und hängte es über dem Sofa auf. Dann rahmte sie noch ein kleineres Schwarzweißfoto von Atetegeb und Suzie als Jugendliche, wie sie gemeinsam lachten. Unter das Glas schob sie einen Streifen Papier, auf den sie eine Zeile eines Popsongs getippt hatte: »Ohne dich bin auch ich nicht.«
    Ein Kind kann nicht ohne Mutter oder Vater leben. Eine Mutter oder ein Vater kann nicht ohne das Kind leben.
    Auch wenn Haregewoin mindestens einmal am Tag das Herz schwer wurde, weil sie ihre verstorbene Tochter vermisste, war sie doch mit ihren Kindern glücklich. Die vier Älteren verließen jeden Tag in ihren roten Schulpullovern den Hof und gingen zur Schule; die drei Jüngsten spielten derweil. Sie las ihnen Geschichten vor, brachte ihnen Lieder bei und stampfte zusammen mit ihnen auf den eingeweichten Kleidern in dem großen Waschbottich herum, nachdem sie Schuhe und Strümpfe ausgezogen hatten. Mit Kindern machte sogar das Wäschewaschen Spaß.
    Als sie zu ihr gekommen waren, hatten sie alle denselben Gesichtsausdruck gehabt: verschreckt, leer, verständnislos. Das eine oder andere Kind hatte sich nicht von der Stelle gerührt, stand verwirrt und misstrauisch da wie ein Kind in einem dunklen Flur, das den Weg zurück ins Bett nicht mehr findet. Aber Haregewoin war überall, sie beugte sich zu den Kindern herunter, freute sich über das zaghafteste Lächeln - oder zumindest das Bemühen, nicht zu weinen - und erwiderte es mit einem breiten, verheißungsvollen Lächeln ihrerseits. Wenn die Kinder voller Trauer und Furcht nachts verängstigt nach » Amaye !« riefen, hastete sie zu ihnen, auch wenn sie wusste, dass sie nicht die amaye war, nach der sie gerufen hatten. Sie überschüttete sie mit Zärtlichkeiten und kitzelte sie, dann nahm sie sie in den Arm, bis sie wieder einschliefen. Sie wusch und flocht ihnen die Haare, brachte ihnen Schreiben bei. Haregewoin hatte wieder zu lachen gelernt, sie war zufrieden mit ihrem Leben. Innerhalb von ein, zwei Monaten galten die nächtlichen Rufe oft Haregewoin, zumindest machte es den Eindruck, denn wenn eines der verängstigten Kinder Haregewoins Gesicht erkannte, das sich in der Dunkelheit über es beugte, erschrak es nicht mehr und schrie auch nicht, sondern beruhigte sich und lächelte schläfrig.
    Suzie schickte jeden Monat Geld. Auch Haregewoins Freunde halfen aus.
    Haregewoin nahm kleinere

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