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'Alle meine Kinder'

'Alle meine Kinder'

Titel: 'Alle meine Kinder' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fay Greene
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glänzenden Augen über Haregewoins Schulter auf die anderen Kinder und stieß ein glucksendes Babylachen aus.
    Trotz ihres Namens gehörte sie nicht länger zu den wertlosen Menschen!
    Genauso wenig wie Haregewoin.

21
    Drei Jahre nach Atetegebs Tod (es war mittlerweile Frühling 2001) trug Haregewoin immer noch Schwarz.
    Eines Nachmittags klopfte ein Vertreter des kebele an ihr Tor. Er wollte ihre kleine Einrichtung inspizieren. Mit ernstem Gesicht und hinter dem Rücken verschränkten Händen ging er umher, steckte hier und dort den Kopf hinein und schüttelte ein paar von den acht Kindern die Hand, was sie zum Kichern brachte. Dann lächelte er, zog sein Revers glatt und erklärte, dass er zufrieden sei. »Sie sind eine gute Frau, Waizero Haregewoin«, sagte er. »Es ist an der Zeit, dass Sie Ihre schwarzen Kleider ablegen. Sie sind für diese jungen Menschen eine Mutter, und die sähen Sie bestimmt lieber nicht in Trauerkleidung.«
    Sie folgte seinem Rat.
    Zwei Tage später schickte er ihr vier neue Kinder.
     
    Eines Nachts wurde sie durch hartnäckiges Klopfen gegen das Hoftor geweckt. Barfuß und im Nachthemd schlich sie sich hin und lauschte. Die afrikanische Nacht war erfüllt vom vielstimmigen Chor der Straßenköter und Ziegen, der Paviane in den fernen Hügeln und der Hyänen und Schakale in den Ebenen. Die metallische Gebirgsluft der Hauptstadt war kalt, so dass sich der raue Betonboden des Hofs unter ihren Füßen warm anfühlte. Ein großer, dünner Mann stand schwankend auf der Straße. Er trug ein Wollsakko und eine Krawatte. Er hatte blutunterlaufene Augen und einen struppigen Schnurrbart. Sie hatte den Eindruck, dass der Mann, der etwa Mitte vierzig war, unter Drogen stand. Später würde sie erfahren, dass er neunundzwanzig Jahre alt war und nie einen Tropfen Alkohol angerührt hatte. In seinen Armen schlief in eine Decke gewickelt ein winziges Mädchen.
    »Meine Frau ist gestorben. Ich heiße Theodros. Das ist Betti.«
    Haregewoin schnalzte einige Male mit der Zunge, so drückte man in Äthiopien sein Beileid aus.
    Betti sei vier, sagte er.
    Haregewoin zog ihr Flanellnachthemd enger um sich und stellte sich auf die Zehenspitzen, um sie anzusehen. »Und dann ist sie noch so klein?«, sagte sie.
    »Hier«, rief er plötzlich lebhaft, »sehen Sie nur, wie sie vorher war.«
    Umständlich zog er mit einer Hand eine Brieftasche hervor und nahm ein paar Fotos von Betti heraus. Sie waren ein Jahr zuvor in einem Fotostudio aufgenommen worden und zeigten ein Mädchen mit glänzenden Augen und Zöpfchen in einem gelben Gymnastikanzug und Tutu. Sie streckte ihren runden Bauch heraus und hielt die Hände in einer Tanzposition über den Kopf. Haregewoin betrachtete auch die vier anderen Positionen; die Fotos waren an den Kanten weich und abgenutzt wie ein altes Kartenspiel.
    »Ich bin Bauingenieur«, setzte er noch einmal an, und steckte die Fotos zurück in seine leere Brieftasche. »Ich habe einen College-Abschluss und ein Diplom von der Universität in Addis Abeba. Aber als meine Frau und meine Tochter krank wurden, wollte mir keiner mehr einen Job geben. Ich kann sie nicht ernähren. Ich kann keine Medikamente kaufen.
    Ich kann Baupläne erstellen und Bauarbeiten beaufsichtigen. Vielleicht wollen Sie ja etwas bauen?«
    »Sie wecken mich mitten in der Nacht auf, um mich nach Arbeit zu fragen?«, fragte Haregewoin.
    »Die Leute wollen mir nicht einmal mehr die Hand schütteln. Sie müssen nur einen Blick auf das Kind werfen, und schon wissen sie Bescheid. Sie ist positiv.«
    Er sagte nichts über seinen eigenen Gesundheitszustand, wie sie bemerkte. Aber es war offensichtlich, dass es ihm nicht besser als dem Kind ging.
    »Wenn ich mit ihr ins Krankenhaus gehe, dann halten sich alle von uns fern, und keiner will mir helfen. Einmal, als sie draußen gespielt hat, fing eine Wunde an ihrer Hand an zu bluten, und die Nachbarn sind rasch zu ihren Kindern gelaufen - ›Betti ist hier, schnell, komm rein!‹. Sie hat es aufgegeben, mit den anderen Kindern spielen zu wollen.
    Bitte, Madam. Ich habe gehört, dass sie den Kindern helfen.
    Es wäre nur für kurze Zeit.«
    Bis zu diesem Moment hatte Haregewoin gedacht, dass der dünne Mann sie um ein Almosen bitten wollte, um eine Kleinigkeit zu essen, um Geld oder Arbeit. Und sie hätte ihm ohne zu zögern etwas gegeben, und wenn es nur ein Sack Teff (ein endemisches Getreide) aus ihrer Vorratskammer gewesen wäre. Aber jetzt wurde ihr klar, dass er hoffte, sie würde

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