Alle meine Schuhe
aussehen! Weiblich! Und nach ein bisschen mehr Oberweite! Aber nichts gefiel ihr wirklich gut. Justin faulenzte mittlerweile wenig hilfreich auf dem Bett und plante in Gedanken offenbar seinen eigenen Abend. Amys Bemühungen schenkte er nicht sonderlich viel Aufmerksamkeit. Eigentlich konnte sie froh darüber sein, aber es ärgerte sie, dass er nicht zerknirschter war – schließlich hatte er gerade eine ganze Wäscheladung ihrer Klamotten ruiniert.
»Vielen Dank, Justin, ohne deine Hilfe würde ich es nie schaffen, mich fertig zu machen«, murmelte sie sarkastisch und zielte mit einem indischen Seidenschal auf den Berg verworfener Kleidungsstücke. Sie verfehlte diesen und der Schal landete stattdessen auf Justins Gesicht.
»Sorry, Abe, ich war ganz in Gedanken.« Er sprang auf und eilte zum Kleiderschrank. »Okay, ein Abend im Pub, ja?« Justin setzte eine nachdenkliche Miene auf. »Kinderspiel.« Er griff in den Kleiderschrank und zog triumphierend ihre weit ausgestellte Miss Sixty heraus. »Perfekt!«, verkündete er strahlend. Dann tauchte er erneut in den Schrank. »Und dazu das!«
Amy war fassungslos. Er streckte ihr allen Ernstes ihren alten schwarzen Rollkragenpulli entgegen.
»Und Turnschuhe!«, fuhr er fort. »Du hast doch bestimmt ein paar halbwegs saubere Turnschuhe in deinem Schuhlager. Auftrag erfüllt!«
»Ich …« Amy war sprachlos.
»Was sonst sollte man im Pub anziehen? Oder willst du, dass deine schicksten Klamotten hinterher nach Bier stinken?«
Das klang durchaus logisch, allerdings wusste Amy, um was es Justin in Wirklichkeit ging: »Amy Marsh, du ziehst heute Abend verschleiert los, damit dich kein Kerl anbaggert …« Zugeben würde er das allerdings niemals.
Zum Glück kam ihr in letzter Minute die rettende Idee. »Justin, sei nicht albern. Kein Mensch läuft im Juni mit Jeans und Rollkragenpullover herum. Ich würde mich zu Tode schwitzen.«
»Aber -«
»Jetzt hör mir mal zu«, fiel Amy ihm streng ins Wort. »Ich bin nicht Natasha, okay?« Sie zog ihn näher zu sich. »Okay?«, wiederholte sie und zog ihn noch näher an sich heran. Für einen kurzen Moment bekam sie Gewissensbisse – aber sie tat nichts Falsches, nicht wirklich jedenfalls.
»Ich weiß«, murmelte er, lehnte sich an sie und vergrub sein Gesicht wieder in ihrer Halsbeuge.
»Ich werde dich nicht betrügen. Hast du verstanden?«
»Verstanden«, kam es irgendwo aus der Gegend ihres Schlüsselbeins.
»Ich werde etwas Hübsches und Fetziges anziehen. Und wenn ich nach Hause komme, hilfst du mir, es wieder auszuziehen, einverstanden?«
Sie spürte, wie er sich entspannte. »Du lässt mir keine Wahl«, brummte er sexy.
Erleichtert schlüpfte Amy in ihr korallenfarbenes Top und zog die dazu passende, durchsichtige Chiffonbluse darüber. Dazu passte nur ihr schokoladenbrauner geschlitzter Rock aus Wildleder von Zara wirklich gut – trotz des warmen Wetters. Das wäre geklärt, blieb nur noch eine letzte Entscheidung übrig.
Die Schuhe.
2. Kapitel
S chuhe – das bedeutete, den begehbaren Schuhschrank im Flur aufzusuchen. Normalerweise bewahren die Leute in solchen Räumen Dinge wie Koffer, Staubsauger und Bügelbrett auf.
Aber dieser Ort war, wie Justin ihn oft nannte, ein Refugium, ein Schrein, ein richtiges Heiligtum, ein privates Schuhmuseum für Amy.
Sie sammelte Schuhe wie andere Menschen Fotos oder Liebesbriefe. Jedes einzelne Paar war mit viel Hingabe, Sorgfalt und Liebe ausgesucht. Und nahezu jedes Paar stand in Verbindung mit einem bestimmten Ereignis in ihrer Vergangenheit sowie ihrer Gegenwart und würde womöglich auch Zeuge ihrer Zukunft werden.
Für Amy waren ihre Schuhkartons Schatzkisten. Exakt vierunddreißig an der Zahl. Darin verbargen sich wunderbare Ledergerüche, aufwändige Stickereien, geschmeidige Riemchen, kunstvolle Absätze … aber der wahre Schatz bestand in ihren Gefühlen, den Erinnerungen, den bewegenden Momenten. Irgendwie hatten sie sich mit diesen Kostbarkeiten aus Leder verbunden – ihre Schuhe waren damit ein wichtiger Teil von Amys Leben geworden.
Jede Schachtel zeigte sorgfältig per aufgeklebtem Digitalfoto-Druck oder glänzendem Polaroid ihren Inhalt. Amys Blick fiel auf die Box mit den schwarzen Prada Slingbacks. Die wären perfekt für heute Abend, wenn ihr Wildlederrock schwarz und nicht braun wäre! Und da – die kniehohen Gucci Stiefel, das Geschäft des Jahrhunderts dank dieses netten Griechen in der Portobello Road – einen Moment lang wünschte Amy, es
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