Alle muessen sterben
und der eiserne Schürhaken, den sie aus dem Kaminbesteck genommen hatte, machte ein schneidendes Geräusch, als er durch die Luft sauste. Der Flügel war schwarz, aus schwarzem, glänzendem Lack, so wie das Kästchen, in dem Mutter ihre Kämme aufbewahrt hatte. Die alle in dem Haus verbrannt waren.
Peng! Der Schürhaken donnerte auf den Flügel und blieb im schwarzen Lackdeckel einfach stecken. Der Lärm hatte sogar Zoltan Zorn stumm gemacht. Mit schiefem Mund hing er in seinem Rollstuhl und stierte auf seinen geliebten Bechstein-Flügel und auf sein Banshee-Mädchen, das ihm den Tod bringen würde. Unter Aufbietung aller Kräfte riss Chloe den Haken wieder aus dem splitternden Holz und schlug erneut zu. Diesmal erwischte sie die Tasten, die schwarz und weiß aufgefädelt nur darauf warteten, von ihr zerstört zu werden. Jetzt ging auch das Schreien wieder los. Das Gekreische des alten Zoltan Zorn steigerte sich zu einem markerschütternden Trillern, vermischte sich mit einem atonalen Geklimper, denn Chloe drosch noch immer mit dem Schürhaken auf die Tasten. Diese zersplitterten unter ihren Schlägen und zischten wie schwarze und weiße Insekten durch den Salon.
Die eiserne Spitze des Schürhakens durchbohrte den Resonanzkörper und blieb wieder stecken. Chloe kletterte auf den halb zertrümmerten Deckel des Flügels und packte mit ihren Händen die dünnen stählernen Saiten, die wie Messer in ihre Finger schnitten, sich aber nicht herausreißen ließen. Dann sprang sie vom Flügel und schnalzte mit ihren Fingern nach Rufus, der geduckt mit gesträubtem Fell durch den Salon robbte und dabei sein grünes Auge unverwandt auf Zoltan Zorn gerichtet hatte. Mit beiden Händen zerrte und zog Chloe an dem Schürhaken, riss einen Teil des seitlichen Resonanzkörpers weg, schlug mit dem Schürhaken auf die abgebrochenen Teile, so als würde sie Holz hacken.
„Alle müssen sterben!“ Das andere Mädchen war neben sie getreten und machte eine unmissverständliche Bewegung zu dem Rollstuhl, in dem Zoltan Zorn mit verzerrtem Gesicht hing. Aus seinem Mundwinkel tropfte wie so oft gelber Schleim und sein schrilles Schreien war einer erdrückenden Stille gewichen, in der man nur noch den keuchenden Atem von Chloe hören konnte. Plötzlich schleuderte sie den Schürhaken mit voller Wucht gegen den Rollstuhl und ein einzelner schriller Schrei war zu hören, dann war wieder Stille.
Chloe zog ihr Handy aus ihrer grünen Regenjacke und starrte auf das Display. Langsam ging sie an dem Klavier entlang und filmte die zersplitterten schwarzen Lackteile auf dem Boden, den zerborstenen Deckel und die zertrümmerten Tasten. Unruhig schwenkte sie mit dem Handy auf Zoltan Zorn, der wie tot in seinem Rollstuhl hing. Der eiserne Schürhaken lag neben dem Rollstuhl am Boden. Auf Zehenspitzen schlich Chloe näher, schob mit der Spitze ihres abgewetzten roten Sneakers den Haken zur Seite.
Die Tür, die vom Salon hinüber ins Esszimmer führte, hatte tiefe Einkerbungen, die von den Schlägen mit dem Schürhaken stammten. Bei jedem Schritt knirschte es unter ihren Füßen und die zersplitterten Tasten des Bechstein-Flügels zerkratzten den teuren Parkettboden, wenn sie darauf trat. Den Jagdtrophäen und ausgestopften Tierköpfen in dem holzgetäfelten Korridor hatte der Schürhaken ziemlich zugesetzt, besonders die toten Glasaugen hatte sie mit der eisernen Spitze zerbröselt. Das scharfe Jagdmesser, das zur Dekoration an der Wand gehangen hatte, steckte sie zur Beruhigung in die Tasche ihrer Regenjacke.
Zoltan Zorn hing mit schlaffem Gesicht schräg aus seinem Rollstuhl, Rufus saß daneben und leckte mit seiner großen roten Zunge den Schleim weg, der Zoltan Zorn aus dem Mund tropfte wie ein steter Fluss, der sein Leben als schleimige Schneckenspur verschwinden ließ. Langsam umrundete Chloe dieses menschliche Wrack, das einmal ihr Vater und ihr Liebhaber gewesen war. Sie hielt kurz mit dem Zoom der Kamera auf die bösartigen, jetzt aber geschlossenen Augen von Zoltan Zorn. Dann schwenkte sie zu Rufus und zoomte sein totes weißes Auge groß ins Bild.
Mutter hatte ihr nie erzählt, dass Zoltan ihr Vater war. Als Kreativdirektorin der Modeschule „Herzblut“ hatte Mutter viele Männer gekannt, aber geliebt hatte sie nur einen – Zoltan Zorn. Deshalb hatte Mutter auch geschrien: Alle müssen sterben! Denn sie hatte Zoltan mit Chloe im Bett überrascht.
Als Chloe zwölf Jahre alt gewesen war, hatte Zoltan sie nackt gezeichnet und sein
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