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Alle Rache Will Ewigkeit

Alle Rache Will Ewigkeit

Titel: Alle Rache Will Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Ich selbst hätte wahrscheinlich das Gleiche getan. Wir waren kein romantisches New-Age-Lager von Leuten, die an schöne Dinge glaubten. Wir waren Abschaum. Meine Mutter prostituierte sich, um genug Geld für ihre Drogen zu haben. Ich verkam, trieb mich mit einer Bande anderer Kinder herum und stahl Essen und Geld, wann immer sich die Möglichkeit dazu ergab.
    Wir gingen mit zwei anderen Frauen vom Lager zu dem Bekehrungsgottesdienst in Andresons großem Zelt. Ich habe den Verdacht, dass unsere Absichten krimineller Natur waren. Die Frauen hofften wohl auf eine Chance, bei dem Gottesdienst durch Taschendiebstahl oder indem sie die Kollekte klauten, zu Geld zu kommen. Sicher weiß ich es nicht, weil mir niemand etwas verriet. Es war ein kühler Nachmittag im Juli, aber das Zelt war sehr voll und die Luft stickig von den Ausdünstungen zu vieler zusammengedrängter Menschen. Meine Mutter und ich saßen auf den steil ansteigenden Plätzen ziemlich weit hinten und ließen uns von Andresons hysterischen Phrasen berieseln. Zumindest dachte ich, es sei so. Seine Redekunst beeindruckte mich überhaupt nicht. Ich hätte viel lieber einen Lamm-Döner gegessen, als im Blut des Lamms gewaschen zu werden.
    Aber mit meiner Mutter geschah an jenem Nachmittag etwas. Sie konnte später immer nur sagen, sie sei von Gottes Hand berührt worden. Ich wollte wissen, wie es sich angefühlt hatte. Ob es eine plötzliche, blind machende Erleuchtung gewesen sei oder die sich langsam einstellende Erkenntnis, dass ihr ein ganz anderer Weg offenstehe. Aber sie erzählte nie Einzelheiten. »Vom Geist erfüllt« war eine weitere ihrer leeren Phrasen, die mir klarmachen sollten, was mit ihr geschehen war.
    So, wie ich es sah, war es eher eine Art dämonische Besessenheit. Als Andreson die Leute aufforderte, nach vorn zu kommen, um von Gott in Empfang genommen zu werden, stand meine Mutter steif wie ein Automat auf und ging zur Bühne, als schlafwandle sie. Ich nahm an, dass dies zu der Nummer gehörte, die sie abziehen wollte; deshalb blieb ich einfach sitzen und wartete, bis es vorbei wäre.
    Sie sah sehr zerbrechlich aus da oben neben Andreson, der die borstige, hellrosa glänzende Sauberkeit eines prämierten Schweins ausstrahlte. Sie kniete vor ihm, er legte ihr seine Hände auf den Kopf und traktierte sie mit seinem wortgewaltigen Gefasel. Dann wurde sie von zweien seiner Anhänger durch den hinteren Vorhang der Bühne weggeführt. Mich langweilte das Ganze. Ich war kaum zehn, und zuzusehen, wie ein paar Spinner wiedergeboren wurden, war nicht das, was ich unter Spaß und guter Unterhaltung verstand.
    Nach einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, mussten wir alle zusammen beten, dann durften wir eine mitreißende Lobeshymne singen, etwas über Gott, der mit uns geht auf dem harten Weg des Lebens. Und dann war es Zeit zu gehen. Eine ganze Armee adretter junger Männer in Anzügen stand an den Ausgängen mit Körben für unsere Spenden. Ich war beeindruckt, wie viel Geld sie ergaunerten. Was immer Jenna und ihre Kolleginnen vorhatten, sie hatten sich ein Zielobjekt gewählt, das genug für alle bot. Und sollte es nicht sowieso darum gehen, an Jesu Christi Spende teilzuhaben?
    Ich drückte mich draußen vor dem Zelt herum, aber nachdem das Publikum gegangen war, wusste ich nicht, wohin ich mich wenden sollte. Am Ende sprach ich einen der Jungen mit den Sammelkörben an: »Meine Mum ist auf die Bühne hochgegangen«, sagte ich. »Und sie ist nicht rausgekommen.«
    Er nickte, als sei das nichts Ungewöhnliches. »Dem Herrn zu folgen kann ein überwältigendes Erlebnis sein«, sagte er und versuchte, wichtig und vielsagend zu klingen. »Wenn man darüber nachdenkt, ist die erste Geburt eine ziemlich traumatische Angelegenheit. Das zweite Mal ist nicht weniger bedeutsam.«
    Obwohl ich erst zehn war, hätte ich ihn am liebsten geohrfeigt. »Aber wo ist meine Mum?«, fragte ich stattdessen.
    »Komm mit«, sagte er und führte mich um das große Zelt herum zu einem kleineren abgetrennten Bereich. Drinnen knieten Grüppchen von Menschen beisammen. Blair Andreson ging von Gruppe zu Gruppe und legte denen, die in der Mitte der Gruppe hockten, die Hände auf. Nach den hellen Lichtern und dem Lärm im Zirkuszelt kam einem dieser Raum sehr friedlich und beschützt vor. Ich brauchte ein paar Augenblicke, bis ich meine Mutter fand, aber schließlich sah ich sie in der hinteren Ecke, wo sich drei andere Frauen um sie kümmerten. Ich hatte keine Ahnung, was

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