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Alle Rache Will Ewigkeit

Alle Rache Will Ewigkeit

Titel: Alle Rache Will Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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spielten, und ihren Vorhaltungen, auch nur einen solchen Gedanken zuzulassen. Aber sie konnte nicht leugnen, dass sie nun einmal die Versuchung an sich herangelassen hatte.
    Sobald Charlie sich in die Situation manövriert hatte, dass sie ohne Maria nach Oxford fahren würde, hatte sie eine SMS an Lisa geschickt:
Bin am Freitag/Samstag, eventuell Sonntag in Oxford. Treffen wir uns?
Lisa hatte schlicht geantwortet:
Melde mich später per E-Mail,
und Charlie damit in brodelnde Ungeduld gestürzt. Als die E-Mail endlich kam, war sie enttäuschend. Aber Charlie musste zugeben, dass in ihrem gegenwärtigen Geisteszustand nahezu jede Antwort eine Enttäuschung gewesen wäre. Laut Lisa war der größte Teil ihres Wochenendes leider schon vergeben: Schulungseinheiten mit denen, die das Evangelium des Umgangs mit der Verletzlichkeit unter die Leute bringen würden, Besprechungen mit Kollegen, die Konferenzen organisierten, und zwei Therapiesitzungen mit Klienten. Charlie überlegte, ob die einzige Möglichkeit, Zeit mit Lisa allein zu verbringen, darin liege, dass sie eine Einzelsitzung buchte.
    Unmittelbar nach der enttäuschenden Nachricht kam dann eine zweite. Charlie fragte sich, ob Lisa ein Spiel mit ihr trieb, aber es war ihr ziemlich egal. Wenigstens spielte sie mit jemandem, der ihr ebenbürtig war. Jetzt bot Lisa an, sie am späten Freitagabend auf einen Drink zu treffen:
Ich dürfte um halb zehn, spätestens um zehn Zeit haben. Treffen wir uns doch im Gardener’s Arms, ja? In der Nähe deiner Pension.
    Charlie war gleich nach acht in dem Pub angekommen, das wie ein Wohnzimmer wirkte, und hatte sich einen Platz gesucht, von dem aus sie die Tür im Blick hatte. Sie bestellte ein thailändisches Curry, eines der vegetarischen Gerichte, und aß absichtlich langsam. Um halb zehn war sie beim dritten Glas Wein und kämpfte gegen den Wunsch an, ihn hinunterzukippen und so die nervöse Erwartung zu besänftigen, die ihr ganzes Denken dominierte. Bald würde Lisa ihr gegenübersitzen, und die Luft würde vor Spannung knistern. Es würde einfach unwiderstehlich sein, malte sich Charlie aus. Das Bett in der Pension bliebe leer, denn sie würden zu Lisas Haus in Iffley fahren. Was nach der Nacht, in der sie wohl kaum zu viel Schlaf kämen, und über die Benommenheit am Morgen hinaus geschehen würde, davon hatte Charlie keine Ahnung. Aber es wäre ein Einschnitt in ihrem Leben, als hätte man die Klinge eines Messers angesetzt. Die beiden Hälften würden wie die einer geteilten Frucht auseinanderfallen.
    Während die Zeit langsam verstrich, hob im Pub um Charlie herum der Trubel eines Freitagabends an. Stimmen drängten sich in ihre Ohren, und das Gelächter wirkte oftmals wie ein persönlicher Angriff. Viertel vor zehn und immer noch keine Lisa. Sie schaute jede Minute auf ihr Handy, doch das Display blieb dunkel. Um zehn fing Charlie bereits an, sich unwohl zu fühlen. Ihre Hände waren feucht, die Haut gerötet und verschwitzt. Sie musste den Drang unterdrücken, sich durch die Menge hindurchzuwinden und an die frische Luft zu gehen. Als das Telefon endlich um zehn nach zehn vibrierte und eine SMS ankündigte, zuckte Charlies ganzer Körper zusammen.
    Tut mir unheimlich leid. Dauert alles länger, kann nichts dran ändern. Spreche morgen mit dir. Lx
Sie las die Worte, und ihr kam das Essen hoch. Sie schaffte es gerade noch auf die schmale Straße hinaus. Dort erbrach sie zwischen zwei eng hintereinander geparkten Autos alles, was sie gegessen und getrunken hatte. Zitternd und schweißgebadet lehnte sie sich an die Mauer und verfluchte sich. Warum hatte sie sich in dieses emotionale Spiel hineinziehen lassen? Bei Lisa war alles doppeldeutig. War ihre Nachricht aufrichtig? Hatte sie kalte Füße bekommen und wollte sich doch nicht auf eine Affäre mit einer verheirateten Frau einlassen? Spielte sie dieses Spielchen einfach nur zum Spaß? Oder war sie aufrichtig, und Charlie quälte sich nur, weil sie Schuldgefühle hatte?
    Nach ihrer Rückkehr in die Pension lag Charlie wach, und abwechselnd peinigten sie Selbstmitleid und Selbstekel. Dann meldete sich das schlechte Gewissen, und sie konnte überhaupt nicht mehr schlafen. Irgendwann gegen eins gab sie auf, ging online und las alles, was sie über Philip Carlings Ermordung finden konnte. Wenigstens würde sie auf das Treffen mit Corinna gut vorbereitet sein. Genau wie auf ein Seminar. Alte Gewohnheiten bleiben einem erhalten.
    Inzwischen war es drei, und sie gähnte. Bevor

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