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Alle Rache Will Ewigkeit

Alle Rache Will Ewigkeit

Titel: Alle Rache Will Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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sie das Internet verließ, startete sie noch schnell eine Suche zu Jay Macallan Stewart, um sich die Hauptpunkte der offiziellen Pressemeldungen noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Bei Wikipedia fand sie eine glaubwürdige Zusammenfassung. Nach dem Abschluss in Oxford hatte Jay aufgrund ihres Wirtschaftswissens eine Forschungsstelle bei einem Think-Tank für Sozialpolitik bekommen. Innerhalb von zwei Jahren hatte sie begriffen, wie sich alles entwickeln würde, und die Stelle aufgegeben, um ihre eigene Internetfirma zu gründen. Zu Spottpreisen kaufte sie überschüssige Plätze von Fluggesellschaften und Ferienwohnungen auf und verkaufte sie mit einem Gewinn als fertige Pauschalreisen weiter. Doitnow.com war einer der überwältigenden Erfolge während des ersten Booms von Online-Geschäften, und Jay hatte den Scharfsinn besessen, die Firma zu verkaufen, bevor die Blase platzte. Dann verbrachte sie zwei Jahre mit Reisen und schickte Berichte davon an verschiedene Zeitungen und Zeitschriften.
    Ihr nächstes Unternehmen schwamm auf dem Kamm der zweiten Internetwelle. Mit dem explodierenden Markt für Kurzreisen stieg der Bedarf für digitale Reiseführer, die ständig auf den neuesten Stand, im Internet abrufbar und auf die persönlichen Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten waren. Und so wurde die Marke 24 / 7 geboren. Die Reiseführer konnten nur im Abonnement bestellt werden, und Jays Firma warb damit, dass es keine wichtige Stadt der Welt gebe, zu der sie nicht einen Führer mit persönlichem Zuschnitt vorlegen könnte. Charlie selbst war auch Abonnentin und legte gern monatlich 4 , 99  Pfund hin, damit sie nie in Verlegenheit war, wenn sie reiste.
    Mit all dem hatte sich Jay in der Geschäftswelt einen Namen gemacht. Herausgeber von Wirtschaftsblättern wussten, wer Jay Macallan war. Aber in das Bewusstsein der breiteren Öffentlichkeit war sie dadurch getreten, dass sie sich mit ihrer Autobiographie so schamlos dem Trend der Bestseller über traurige Kindheitserinnerungen angeschlossen hatte. Jay war nicht wie die meisten aufgewachsen. Ihre Mutter hatte zu den Hippies und Junkies gehört. In den ersten neun Lebensjahren hatte Jay so viel Freiheit, wie es überhaupt geben kann. Dann machte ihre Mutter eine dramatische Bekehrung durch, lebte nun nach sehr strengen christlichen Grundsätzen und heiratete einen der autoritärsten Männer im Nordosten Englands. Es war, in Jays eigenen Worten, »als liefe man mit dem Kopf voraus direkt gegen eine Wand«. Bezieht man zusätzlich Jays allmähliche Erkenntnis ein, dass ihre aufkeimende Sexualität sie noch mehr zur Außenseiterin machen würde, dann war das die Vorlage für genau die Art von Leid und Elend, das sich millionenfach verkaufen ließ. Charlie hatte keine Ahnung, ob
Ohne Reue
der Wahrheit entsprach, aber niemand war aufgetaucht, um zu widersprechen, also war nichts geschehen, was den Schwung abbremste, und das Buch stieg zum Bestseller auf.
    Und hier war der Online-Bericht zu Ende. Über Jays Privatleben wurde außer ihrer Homosexualität nichts erwähnt. Sie war jemand, dessen Namen man kannte, ohne dass sie wirklich in die ominöse Kategorie der Promis fiel. Charlie musste zugeben, dass Jay alles einwandfrei hinbekommen hatte. Irgendwie war es ihr gelungen, die Peinlichkeiten aus ihrer Vergangenheit herauszuretuschieren.
    Denn es gab Peinlichkeiten. Selbst Charlie wusste das. Sie war mit einem Bild von Jay Macallan Stewart ganz im Vordergrund ihrer Gedanken eingeschlafen. Es entsprach nicht der jetzigen Jay, sondern Jay, wie sie gewesen war, als Charlie sie zum ersten Mal gesehen hatte. Groß und langgliedrig in einem schlabbrigen Fischerpullover, mit einer wilden Mähne dunkler Locken, all das in den blauen Rauch einer französischen Zigarette gehüllt. Sie gab Charlie, die zwei Jahre älter war, das Gefühl, unbeholfen und unreif zu sein. Schon damals hatte Charlie begriffen, dass Jay Stewart etwas Gefährliches an sich hatte, obwohl sie keinen stichhaltigen Grund für ihre intuitive Ahnung nennen konnte.
    Charlie hatte tiefer geschlafen, als sie erwartet oder es verdient hatte, wachte etwas benommen auf und hatte kaum noch genug Zeit, zu duschen und es zum Frühstück zu schaffen. Danach hatte sie noch mehr als eine Stunde, bevor sie Corinna treffen sollte. Ein Spaziergang durch die Gärten und die Wiesen am Fluss des St. Scholastika College an einem strahlenden Frühlingsmorgen würde ihr guttun. Er würde sie an ihre Vergangenheit erinnern und Lisa

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