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verschaffen, wie man diese Anwendungsbereiche für mein eigenes Gebiet – Neurophysiologie, wie Sie wissen – nutzbar machen kann.«
Sie strich sich mit einer kämmenden Bewegung durch das Haar, als sei sie plötzlich nervös. »Seit Jahrzehnten«, fuhr sie fort, »sind wir in der Lage, die winzigen, schwankenden elektrischen Potentiale des Gehirns zu messen und als Elektroenzephalogramme, oder EEGs, aufzuzeichnen. Wir unterscheiden Alpha-, Beta-, Delta- und Theta-Wellen – verschiedene Variationen zu verschiedenen Zeiten, abhängig davon, ob die Augen geöffnet oder geschlossen sind, ob das Objekt wach ist, meditiert oder schläft. Aber wir haben bisher nur wenige Informationen daraus ziehen können.
Das Problem ist, daß wir die Signale von zehn Milliarden Neuronen in wechselnden Kombinationen empfangen. Das ist ungefähr so, als würde man den Geräuschen von allen Bewohnern der Erde – oder besser von zweieinhalb Erden – aus größerer Entfernung zuhören und dabei versuchen, bestimmte Gespräche herauszuhören. Das ist unmöglich. Man würde ein paar grobe, allgemeine Veränderungen wahrnehmen – einen Weltkrieg oder das Anwachsen der Lautstärke –, aber nichts Feineres. So ähnlich ist es auch mit dem Gehirn: Wir können etwas über grobe Fehlfunktionen des Gehirns wie Epilepsie erfahren, mehr aber nicht.
Nun mal angenommen, das Gehirn könnte Zelle für Zelle von einem winzigen Laserstrahl abgetastet werden, und zwar so schnell, daß einer einzigen Zelle gar keine Zeit bleibt, genug Energie aufzunehmen, um ihre Temperatur merkbar zu erhöhen. Die winzigen Potentiale jeder Zelle hingegen können den Strahl in einem Rückkopplungseffekt beeinflussen; die Modulationen können verstärkt aufgezeichnet werden. Man würde dann eine neue Meßmethode erhalten, ein Laser-Enzephalogramm, oder ein LEG, wenn Sie so wollen, welches eine Million mal so viele Informationen enthält wie ein gewöhnliches EEG.«
»Ein hübscher Gedanke«, meinte Berkowitz. »Aber eben nur ein Gedanke, mehr nicht.«
»Mehr als ein Gedanke, Jim. Ich arbeite seit fünf Jahren daran, anfangs in meiner Freizeit. Später wurde es zu einem Full-Time-Job, und genau das ist es, was unsere Verwaltungshengste ärgert, ich habe nämlich keine Berichte darüber eingereicht.«
»Warum nicht?«
»Weil die Sache an einem Punkt war, an dem sie zu verrückt klang. Ich mußte zuerst selbst herausfinden, was ich da entdeckt hatte, mich vergewissern und mir dann Rückendeckung verschaffen.«
Sie zog einen Bildschirm beiseite und enthüllte einen Käfig, der ein Seidenäffchenpaar mit traurigen Augen beherbergte.
Berkowitz und Orsino sahen einander an. Berkowitz faßte sich an die Nase. »Ich dachte doch gleich, daß es hier komisch riecht.«
»Was haben Sie mit den Äffchen vor?« wollte Orsino wissen.
»Ich vermute, sie prüft die Gehirne von Seidenäffchen«, meinte Berkowitz. »Richtig, Jenny?«
»Anfangs habe ich beträchtlich tiefer auf der Skala tierischer Intelligenz angesetzt.« Sie öffnete den Käfig und nahm eines der Äffchen heraus. Es sah sie mit einem Ausdruck an, der an das Gesicht eines traurigen alten Mannes mit Koteletten erinnerte.
Sie gab ein paar kosende Geräusche von sich, streichelte das Tier und legte ihm dann sanft ein kleines Geschirr an.
»Was haben Sie vor?« fragte Orsino wieder.
»Ich kann nicht zulassen, daß es herumspringt, wenn ich es an einen Schaltkreis anschließe. Und eine Betäubung kommt nicht in Frage, weil das Experiment sonst keinen Sinn hätte. In das Gehirn des Äffchens wurden mehrere Elektroden eingepflanzt, und die werde ich jetzt mit dem LEG-System verbinden. Hier ist der Laser, den ich benutzen will. Ich bin sicher, daß Sie das Modell kennen, und kann mir deshalb wohl die technischen Einzelheiten schenken.«
»In Ordnung«, sagte Berkowitz. »Aber sie könnten uns sagen, was wir zu sehen bekommen.«
»Es ist einfacher, wenn Sie nur zuschauen. Beobachten Sie den Schirm.«
Sie verband die losen Enden der Anlage mit den Elektroden des Tieres. Dies geschah mit ruhigen und sicheren Bewegungen. Dann drehte sie einen Knopf, durch den die Deckenbeleuchtung des Raumes gedämpft wurde. Auf dem Bildschirm erschien ein spitzzackiges Gebilde aus Gipfeln und Tälern, hingemalt von einer scharfen, hellen Linie, die in sich wieder aus Sekundär- und Tertiärhöhenschwankungen bestand. Langsam verwandelten sich diese Kurven. Es gab Veränderungen der Höhenunterschiede, mal allmähliche, mal
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