Alle Robotergeschichten
in einem Fall gefälscht sein sollten, kann man das durch innere Widersprüchlichkeiten vielleicht herausfinden.«
»Unter normalen Umständen hättest du recht, Freund Elijah, aber hier geht es um Mathematik und nicht um eine experimentelle Wissenschaft. Dr. Humboldt behauptet, das Wesentliche im Kopf ausgearbeitet zu haben. Es ist nichts niedergeschrieben worden, bis diese schriftliche Fassung angefertigt wurde. Dr. Sabbat sagt natürlich genau dasselbe.«
»Na schön, dann greife härter durch und bringe es ein für allemal hinter dich. Unterziehe beide einer psychischen Sondierung und sieh nach, wer von den beiden lügt.«
R. Daneel schüttelte langsam den Kopf. »Freund Elijah, du verstehst diese Männer nicht. Beide sind berühmte Wissenschaftler, Mitglieder der Reichsakademie. Als solche können sie nur durch einen Ausschuß ihresgleichen – von Leuten, die die gleiche Stellung einnehmen – einem Verfahren ausgesetzt werden, das sich mit ihrem beruflichen Verhalten befaßt, es sei denn, sie verzichten von sich aus freiwillig auf dieses Vorrecht.«
»Dann schlag ihnen das vor. Der Schuldige wird auf dieses Vorrecht nicht verzichten, weil er es sich nicht leisten kann, sich der psychischen Sondierung zu unterziehen. Der Unschuldige wird sofort darauf verzichten. Du wirst nicht einmal zur Sondierung greifen müssen.«
»So geht es nicht, Freund Elijah. In einem solchen Fall auf das Vorrecht zu verzichten – Laien übernehmen dann die Ermittlung! – stellt einen ernsten und vielleicht irreparablen Schlag für das Prestige dar. Aus Gründen des Stolzes weigern sich beide Männer standhaft, ihr Recht auf ein Sonderverfahren aufzugeben. Die Frage nach Schuld oder Unschuld ist ganz nebensächlich.«
»Laß es in dem Fall für jetzt gut sein. Leg die Angelegenheit auf Eis, bis ihr auf Aurora seid. Auf der neurobiophysikalischen Tagung wird es eine Menge gleichgestellter Berufskollegen geben, und dann …«
»Freund, Elijah, das würde der Wissenschaft selbst einen fürchterlichen Schlag versetzen. Beide Männer würden dafür büßen, einen Skandal heraufbeschworen zu haben. Man würde es auch dem Unschuldigen verübeln, in eine so verabscheuungswürdige Lage gekommen zu sein. Man würde der Ansicht sein, es hätte um jeden Preis eine Lösung ohne Gerichte gefunden werden müssen.«
»Schön. Ich bin kein Raummensch, aber ich versuche mir vorzustellen, daß diese Einstellung ihren Sinn hat. Was sagen die beiden Betroffenen?«
»Humboldt sagt, wenn Sabbat zugibt, den Gedanken gestohlen zu haben, und Humboldt die Übermittlung des Schriftstücks in Angriff nehmen läßt – oder zumindest zuläßt, daß es auf der Tagung abgegeben wird, dann wird er nicht auf ein Verfahren drängen. Er wird Sabbats Missetat für sich behalten. Der Kapitän selbstverständlich auch, der der einzige weitere Mensch ist, der mit dem Streit zu tun hat.«
»Aber der junge Sabbat wird nicht dieser Meinung sein?«
»Ganz im Gegenteil. Er stimmte Dr. Humboldt in allen Einzelheiten zu, von einer Umkehrung der Namen abgesehen. Immer noch das Spiegelbild.«
»Die rühren sich also nicht aus ihrer Sackgasse?«
»Freund Elijah, ich glaube, jeder wartet darauf, daß der andere nachgibt und sich schuldig bekennt.«
»Nun, dann warte ab.«
»Der Kapitän hat beschlossen, daß das nicht geht. Beim Warten gibt es zwei Möglichkeiten, verstehst du. Erstens, daß beide halsstarrig bleiben und dann, wenn das Sternenschiff auf Aurora landet, der Skandal losgeht. Der Kapitän, der für die Rechtsprechung an Bord verantwortlich ist, wird sich mit Schimpf beladen, weil es ihm nicht gelungen ist, die Sache im stillen zu erledigen, und das ist ihm unerträglich.«
»Und die zweite Möglichkeit?«
»Ist, daß einer der beiden Mathematiker wirklich sein Vergehen eingestehen wird. Aber wird der, der es beichtet, das auf Grund wirklicher Schuld tun – oder aus dem edlen Bestreben heraus, den Skandal zu verhindern? Wäre es richtig, einen um seinen Lohn zu bringen? Einen, der moralisch genug denkt, um lieber auf seinen Lohn zu verzichten, als im letzten Augenblick zu beichten und so den Anschein zu erwecken, er tue es nur der Wissenschaft zuliebe, wobei er der Strafe für sein Handeln entgeht und den anderen in ein schlechtes Licht setzt? Der Kapitän wird der einzige Mensch sein, der es weiß, aber er möchte nicht den Rest seines Lebens damit verbringen, sich zu fragen, ob er nicht an einem grotesken Versagen der Justiz Anteil hatte.«
Baley
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