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Alle Singen Im Chor

Alle Singen Im Chor

Titel: Alle Singen Im Chor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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die angebrochene Flasche Kiwilikör. Mein sonstiger Lebensmittelvorrat bestand aus einem Paket Kaffee, einem halben Roggenbrot und drei verschrumpelten Äpfeln. Ich war in den letzten Tagen nicht zum Einkaufen gekommen.
    «Also nicht. Na, dann lass uns doch ins ‹Elite› gehen. Oder verstößt das gegen deine Vorschriften?»
    Ich dachte ans Joggen und an das, was ich auf der Polizeischule über die Unparteilichkeit von Polizeibeamten gelernt hatte. Dann überlegte ich mir, dass ein paar Bier meine Nackenmuskeln genauso gut auflockern würden wie das Laufen.
    «Okay, gehen wir, aber nur unter einer Bedingung.»
    «Und die wäre?»
    «Dass wir nicht von diesem Fall sprechen. Wir können reden, worüber du willst, über Musik, Politik, Bücher, von mir aus auch über Rentierzucht, aber nicht über meine Arbeit. Ich werd noch ganz konfus, wenn ich mich ständig damit beschäftige.»
    «Ach, du Arme, bist du konfus?», grinste Tuulia. «Ich auch, weißt du. Es tut uns bestimmt beiden gut, mal an was anderes zu denken als an Jukka.»
    Ich wusch mir die Berufsschminke vom Gesicht, kleckste ein bisschen frische Farbe auf, bürstete meine Haare, bis sie sich plusterten, und hatte auf einmal schrecklichen Durst. Durst auf Bier, auf Lachen, auf Freundschaft. Über Berufsethik mochte ich jetzt nicht nachdenken. Vielleicht war es für mich als Polizistin falsch, mit Tuulia Bier trinken zu gehen, aber für mich als Mensch war es definitiv das Richtige.
    Und es wurde wirklich lustig. Tuulia war in Fahrt und erzählte mir von ihren Eskapaden. Bei ihrer fröhlich-anarchistischen Einstellung zum Leben beschlich mich das Gefühl, uralt zu sein, fast ein lebender Leichnam. Was sie vom Trampen im Sommer erzählte, von ihren Abenteuern auf Rockfestivals, wo sie sechzehnjährige Knaben von ihrer Unschuld befreit hatte, von Badefreuden im Springbrunnen in Tapiola, klang einfach beneidenswert. Manch einer hätte wohl gesagt, Tuulia wolle nicht erwachsen werden, aber meiner Meinung nach wollte sie nicht vertrocknen.
    «Ich will dieses vorgestanzte Leben nicht: Mach Examen – kauf dir ’ne Wohnung – zahl den Kredit ab – leg dir einen Mann zu – krieg Kinder. Sei anständig. Ich will verantwortungslos sein und mein Leben lang genau das tun, was mir Spaß macht», erklärte sie und setzte ihr halb volles Glas so schwungvoll an die Lippen, dass ihr ein Teil des Biers über das Kinn bis auf den Hals lief. Sie lachte und wischte es mit dem Handrücken ab. Der Ausschnitt ihres Pullovers betonte die Schlüsselbeine und den stolzen Hals. An ihren Ohrläppchen baumelten goldene Halbmonde, am Finger trug sie einen dazu passenden Ring mit funkelnden Steinen. Hübscher Tand.
    «Woran denkst du gerade, Maria?»
    «Ich denke, wie toll es ist, sich mit einer vernünftigen Frau zu unterhalten. Bei der Arbeit sind viel zu viel Männer um mich herum. Dabei sind Typen wie du, die sich nicht in traditionelle Frauenrollen zwängen lassen, die Einzigen, die ich wenigstens halbwegs begreife.»
    «Du bist wohl ziemlich einsam? Jaana hat mal gesagt, du wärst ein bisschen eigenbrötlerisch.»
    «Ich mag mich bloß nicht der ganzen Welt mitteilen. Die Menschen sind okay, auch die Männer, aber es kotzt mich an, das Pärchenspiel mitzumachen.»
    «Hast du irgendeinen Speziellen? Einen Mann, meine ich?»
    «Nee. Ich hatte ein paar längere Beziehungen. Pete hat mein ganzes Geld versoffen. Der Zweite, der Vogelmann, war total kontaktgestört, und dann war da noch ein Kommilitone bei den Juristen, der es nicht ertragen konnte, dass ich bei den Prüfungen besser abgeschnitten hab als er. Das war’s eigentlich. Ich hab keine Lust, mir bloß deshalb ’nen Mann anzulachen, weil das von einem erwartet wird. Dafür bin ich viel zu bequem. Ich halte nicht alle Männer für Idioten, aber so wahnsinnig viel erfreuliche Exemplare sind mir bisher noch nicht über den Weg gelaufen. Dir etwa?»
    «Seit einer Ewigkeit nicht mehr. Jukka war …»Tuulia biss sich auf die Lippen, und ich erinnerte mich plötzlich an Anttis Brief mit der Bitte, Tuulia nicht wehzutun. «Sorry, dass ich das verbotene Thema anschneide, aber Jukka war irgendwie … speziell, auf seine Weise. Ein Seelenverwandter. Manchmal aber auch verdammt nervend. Bedienung! Dasselbe nochmal! Du trinkst doch noch eins mit?»
    «Ja, das dritte schaff ich noch.» Ich merkte, dass Tuulia mit den Tränen kämpfte, und brachte das Gespräch hastig auf den neuen Film von Kaurismäki, den ich gerade gesehen hatte. Wir

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