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Alle Singen Im Chor

Alle Singen Im Chor

Titel: Alle Singen Im Chor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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besser. Ich stand in der Nähe der Altistinnen und hörte, dass Mirjas Stimme immer wieder die anderen übertönte. Tuulia hatte Recht. Mirja schien die ganze Zeit unbeirrt forte zu singen. Es wunderte mich, dass ihre Nachbarin auf dem Mirja zugewandten Ohr nicht halb taub war. Sirkku, die in der Mitte der Altreihe saß, schwankte beim Singen im Takt vor und zurück, es sah idiotisch aus.
    Hinter den Altistinnen saßen die Tenöre. Timo steckte fast mit der Nase in den Noten und schaute kein einziges Mal zu Toivonen hin. Jyri sah ganz versunken aus. Beim Singen wirkte er weniger kindlich als sonst. Mein Blick glitt über die letzte Reihe und blieb an Antti haften, der gerade mit kräftiger Stimme das tiefe Bass-Solo sang: «Alles muss vergehn.» Einen Moment lang schien mir, als stünden ihm Tränen in den Augen.
    «Danke!», brüllte Toivonen mittendrin. «Danke bedeutet Maul halten!», setzte er hinzu, als einige einfach weitersangen. «Alles muss vergehn, Seite 3, Zeile 3. Da stehen zwei f. Was könnte das wohl bedeuten?»
    Ich sah viele gequälte Gesichter. Auch dieses Schauspiel schien sich öfter zu wiederholen.
    «Fortissimo», wurde von allen Seiten gemurmelt.
    «Na, wenn ihr wisst, was es bedeutet, warum hält sich dann keiner dran, außer dem zweiten Alt?»
    «Da wird sowieso immer fortissimo gesungen», hörte ich Tuulia schnauben. Gleich darauf grinste sie mich an, und ich konnte nicht anders, als zurückzugrinsen. Ihr Lächeln wärmte mich und ließ mich die beklemmende Stimmung für einen Augenblick vergessen.
    «Und dann die Tenöre! Euer hohes g ist die ganze Zeit eine Spur zu tief. Das hohe g sollte ja nun wirklich jeder treffen.»
    Ich sah, wie Jyri wieder zu Timo hinschielte.
    «Die Soprane könnten durch die Bank ein bisschen forscher sein, und die Bässe hinken die ganze Zeit hinterher. Reißt euch zusammen! Seite drei, erster Einsatz der Bässe.»
    Ich schaute wieder Tuulia an, deren Gesicht in Sekundenschnelle ernst geworden war. Bei ihr sah das Singen schön und mühelos aus. Jaana hatte mir einmal erzählt, Tuulia hätte von Natur aus einen sehr hohen Sopran, sodass ihr selbst ein gelegentliches zweigestrichenes h keine Probleme bereitete.
    Piia dagegen schien Schwierigkeiten zu haben. Sie sang nicht mehr mit, und ich sah, dass ihr die Tränen übers Gesicht liefen. Das rothaarige Pummelchen hielt ihr ein Taschentuch hin.
    Der Chor sang das Lied noch einmal, diesmal ohne Unterbrechung. Es klang jetzt schon recht melodisch. Dann klopfte Toivonen zur Pause, und ich schlängelte mich durch die Bänke zu ihm hin, als er urplötzlich verschwand. Im Vorbeigehen fegte ich eins der Notenhefte von der Bank. Als ich es aufhob, sah ich, dass sein Besitzer Leinos Gedicht stellenweise umgeschrieben hatte: «Der eine blieb alleine, der andre fand ’ne Maid, und jeder trägt im Herzen das Uhrwerk seiner Zeit. Wenn es stillesteht, so naht des Chores Stunde.»
    Aus dem Morgenrot hatte er Abendbrot gemacht und auch sonst seiner Phantasie freien Lauf gelassen. Bei Studenten der Technischen Hochschule hätte man diese Art von Humor ja erwartet, aber hier?
    Plötzlich stand ich Antti gegenüber, der von einem großen Blumenkohl Röschen abbrach und sich in den Mund stopfte.
    «Hallo, Maria. Magst du?» Er hielt mir den Blumenkohl hin.
    «Nein danke. Wo ist denn Toivonen hin?»
    Antti zeigte auf das Hinterzimmer, wo Toivonen gerade Timo etwas erklärte. Ich unterbrach sie mit einem lauten Guten Tag.
    «Tag …», antwortete Toivonen unschlüssig. «Willst du dich zum Chor anmelden?»
    «Nein. Ich bin Hauptmeister Maria Kallio vom Gewaltdezernat der Kriminalpolizei Helsinki.»
    Toivonen sah mich verdutzt an, bevor er mir die Hand schüttelte. Wieder hatte meine Jeans jemanden in die Irre geführt. Vielleicht sollte ich grundsätzlich Dienstrock und Knotenfrisur tragen.
    «Ach ja, Sie hatte ich ganz vergessen.» Toivonen schickte Timo aus dem Zimmer und schloss die Tür.
    «Was möchten Sie denn wissen?», fragte er und zupfte an seinem Rauschebart.
    «Jukka Peltonen war doch der stellvertretende Leiter des IOL. Was gehörte denn da zu seinem Aufgabenbereich?»
    «Eigentlich nicht sehr viel. Manchmal haben wir den Chor geteilt, dann hat Jukka mit der einen Hälfte geprobt und ich mit der anderen. Im Prinzip muss der Stellvertreter dirigieren, wenn der Chorleiter verhindert ist, aber ich bemühe mich, immer anwesend zu sein.»
    «Ist Jukka die ganze Zeit stellvertretender Leiter gewesen, ich meine, seit er dem Chor

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