Alle Singen Im Chor
landeten wieder bei Männer- und Frauenrollen, schimpften über die Regierung, lachten ausgelassen. Zwei überaus selbstzufrieden aussehende Männer versuchten uns anzubaggern, aber Tuulia legte einen Arm um meine Schultern und sagte abweisend, wir wären uns selbst genug. Wir lachten schallend über ihren verdutzten Blick.
Als wir an der Haltestelle auf die Drei warteten, merkte ich, dass ich betrunken war. Tuulia war zu müde, um zu Fuß zum Bahnhof zu gehen, wo ihr Bus abfuhr, und ich hatte versprochen, mit ihr auf die Straßenbahn zu warten. Es war kühl geworden, Tuulia zog die überlangen Ärmel ihres Sweatshirts bis an die Fingerspitzen herunter.
«Meine periphere Durchblutung ist furchtbar schlecht, ich hab immer kalte Hände.»
«Als Kinder haben wir in der Pause immer dieses Patschepatsche-Spiel gespielt, wenn uns kalt war. Wollen wir’s mal probieren?» Wir fingen an, unsere Hände gegeneinander zu schlagen. Zuerst langsam und unbeholfen, dann kehrte die Erinnerung wieder, und wir klatschten immer schneller, ohne uns an den verwunderten Blicken der Passanten zu stören. Wir kicherten wie Zehnjährige.
«Du hast richtig warme Hände», stellte Tuulia fest. «Warme Hand, kaltes Herz, stimmt das?»
«Nach der Logik hast du ein warmes Herz. Stimmt das denn?», gab ich zurück.
Wir umarmten uns, bevor Tuulia in die Straßenbahn einstieg. Während ich nach Hause ging, überlegte ich, wann ich zum letzten Mal einen Menschen so berührt hatte, dass mir dabei wohl war.
Acht
Stromab treibet mein Boot, welches Schicksal ihm droht, kann keines von uns Menschenkindern wissen
Den Rest der Woche war ich vollauf mit den Messerstechereien in Malmi beschäftigt. Am Freitag kam noch ein Opfer hinzu, als der jüngste Bruder der einen Zigeunerfamilie einen Vetter der anderen Familie erstach. Ich versuchte, ihre Denkweise zu verstehen, aber dafür hätte ich den kulturellen Hintergrund besser kennen müssen, und ich hatte keine Zeit, mich damit zu befassen.
Ich hatte immer wieder versucht, Chorleiter Toivonen zu erreichen. Erst am Montag hatte ich Glück.
«Ich habe noch Urlaub und ich bin nur wegen der Proben für die Beerdigung in die Stadt gekommen. Ehrlich gesagt, habe ich es ziemlich eilig, es gibt bis heute Abend noch so viel zu erledigen.»
«Ich ermittle hier in einem Mordfall», sagte ich mit aller Autorität, die ich aufbrachte.
«Gewiss, ich will ja auch gern helfen. Wir proben heute Abend im Haus der Landsmannschaft, vielleicht könnten Sie in der Pause kommen? So gegen halb acht?»
Das war mir recht. Bei der Gelegenheit konnte ich auch gleich andere, nicht zu den Verdächtigen zählende Chormitglieder über Jukka ausfragen.
Martti Mäki hatte mich am Donnerstag angerufen. Nach einigem Zögern hatte er angegeben, er sei in der Mordnacht gar nicht zu Hause gewesen. Als ich fragte, ob das jemand bezeugen könne, wurde er verlegen.
«Na ja, also … Ich weiß nicht, wie sie heißt.» Es handelte sich um eine Zufallsbekanntschaft. Er hatte die Frau an der Bar des Restaurants «Kaivohuone» kennen gelernt und im Hotel Vaakuna die Nacht mit ihr verbracht. Wir vereinbarten, dass er sich sofort bei mir auf dem Präsidium melden würde, wenn er am Dienstag nach Finnland zurückkehrte. Vielleicht war es naiv, ihm zu glauben, aber ich konnte nicht anders. Warum hätte Mäki die Axt unter der Sauna verstecken sollen? Bei seiner nächsten Runde durch die Nachtklubs konnte Koivu auch gleich mit einem Foto von Mäki ins «Kaivohuone» gehen. Vielleicht entdeckte er dort sogar die Zufallsbekannte, womöglich erinnerte sich auch im Hotel Vaakuna jemand an Mäki.
Kurz vor sieben stieg ich in Pasila in die Straßenbahn. Am vorigen Abend hatte ich bis Mitternacht einen der Messerstecher verhört. Ich war müde, und mein Kopf war völlig leer. Ich wünschte mir, zu Hause würde jemand mit einem heißen Bad und einem kalten Bier auf mich warten. Oder wenigstens eine schnurrende Katze. Hoffentlich dauerte es bei der Probe nicht so lange. Ich musste noch putzen und Wäsche waschen und endlich mal mehr als sechs Stunden schlafen.
Während die Sieben über die Schienen ratterte, kam mir Koivus Bericht vom Fleischmarkt im Hesperia in den Sinn. Der Barkeeper hatte zuerst gesagt, er erinnere sich gut an Jukka, dann aber plötzlich behauptet, er habe nicht darauf geachtet, was der Kunde in der Bar getan habe. Mit den Frauen hatte Koivu es noch schwerer gehabt. Keine wollte Jukka gekannt haben,
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