Alle Singen Im Chor
heraus.
«Wer mag den wohl gebrannt haben? Diese Flasche und zig weitere haben wir in Jukkas Wohnung gefunden, aber weder dort noch in Vuosaari stehen irgendwelche Destilliergeräte. Ich kann mir notfalls einen Durchsuchungsbefehl für eure Wohnungen besorgen.»
«Aber die sind …», setzte Sirkku an und jaulte auf, weil Timo ihre Hand immer fester drückte.
«Die sind was? Auseinander genommen? Auf der Flasche haben wir Fingerabdrücke von euch beiden gefunden», log ich. Die erschrockene Sirkku stolperte blindlings in die Falle:
«Meine können gar nicht drauf sein, Timo hat doch die Flaschen abgefüllt!»
«Idiotin!», zischte Timo und schüttelte Sirkkus Hand ab. Ich biss mir auf die Lippen, um nicht loszuprusten. Die beiden hatten allzu viel Ähnlichkeit mit dem Ehepaar in einer finnischen Schmierenkomödie. Sirkkus starkes Make-up wirkte bei Tageslicht grotesk, und Timo sah drein wie ein biederes Bäuerlein, das der Dorfpolizist beim Schwarzbrennen ertappt hat.
«Wo ist das Zeug denn nun hergestellt worden?» Ich hatte meine Frage an Sirkku gerichtet, aber Timo hatte sich offenbar entschlossen, die Zügel in die Hand zu nehmen. Er berichtete langsam und deutlich, als müsse er jedes Wort einzeln abwägen:
«Bei uns in Muuriala ist schon seit Jahrzehnten für den Eigenbedarf Schnaps gebrannt worden. Der Vater meines Großvaters hat während der Prohibition damit angefangen, und das ging dann eben weiter. Ich habe manchmal zu den Feten im Chor und in der Landsmannschaft ein paar Flaschen beigesteuert, und letzten Sommer hat Jukka dann gefragt, ob ich ihm etwas mehr liefern könnte, gegen Bezahlung. Ich habe meinen Vater gefragt, dem ich in den letzten Jahren beim Brennen geholfen habe, aber er war strikt dagegen. Auf dem Gutshof ist nie Schnaps verkauft worden, wir haben immer nur für den Eigenbedarf gebrannt. Ich habe mich natürlich geärgert, denn Jukka meinte, wir könnten ungefähr zweihundert Prozent Gewinn machen – wenn wir das Getreide vom Gutshof verarbeiten, das uns praktisch nichts kostet. Er wollte den Schnaps an seine Kollegen verkaufen, nehme ich an. Ich habe mir überlegt, in der Stadt eine eigene Anlage zu bauen, aber damals schien mir das schwierig. Später, als ich schon mit Sirkku zusammen war, kam Jukka bei irgendeiner Party auf die Sache zurück.»
«Jukka hat andauernd versucht, Leute zu irgendwas zu verleiten», warf Sirkku wütend ein. Timo fasste sie wieder an der Hand.
«Ja, Jukka hat Sirkku auch alle möglichen Dinge vorgeschlagen. Jedenfalls hat Sirkku mir dann geholfen, die Anlage zu bauen – sie ist ja Chemikerin –, und wir haben die ersten fünfzig Liter gebrannt. Die eine Hälfte haben wir Jukka gegeben, die andere behalten. Der schmeckt übrigens gut, zum Beispiel mit Cola», wandte sich Timo mit unverkennbarem Berufsstolz an Koivu.
«Und dann?», fragte ich schneidend. Es ärgerte mich, dass ich schon wieder automatisch aus einem Männergespräch ausgeschlossen wurde.
«Dann haben wir eine Lieferung für das Frühlingsfest des Chors gebrannt, und vor ein paar Wochen ist die dritte fertig geworden. Die war doppelt so groß wie die vorigen, wir hatten nämlich einen neuen Kessel.»
«Und woher habt ihr die Flaschen? Die waren ja offenbar alle gleich.»
«Zum Teil haben wir alte Flaschen aus Muuriala genommen, den Rest hat Jukka irgendwo besorgt.»
«Wer ist auf die Idee mit dem Fenchel gekommen?»
«Jukka. Ich hatte ihm mal erzählt, dass wir in Muuriala auch Fenchel anbauen, und er meinte, davon bekäme der Schnaps einen frischeren Geschmack … wie Anis.»
«Und du hast also einen Teil an Jukka verkauft?»
«Ja, obwohl …» Timo sah ein wenig ratlos aus. «Ich fand es komisch, dass er immer mehr haben wollte. Es wäre mir lieber gewesen, wenn er nur einen ganz kleinen Kreis beliefert hätte. Ich finde es nicht kriminell, wenn man nur für sich selbst Schnaps brennt», verteidigte er sich. «Bei uns auf dem Land tun das alle. Aber Jukka wollte ziemlich große Mengen. Und er hat nie gesagt, an wen er den Schnaps weiterverkauft.»
«Hat er euch im Voraus bezahlt?»
«Ja. Außer diesmal …»Timo verstummte plötzlich, und Sirkku sah ihn erschrocken an.
«Sprich nur weiter», sagte ich mit aller Autorität, die ich aufbringen konnte. Ich mochte kaum glauben, dass Timo wirklich aus Ostfinnland stammte, bei seiner langsamen, steifen Sprechweise hätte ich eher auf die Provinz Häme getippt.
«Jukka hat am Donnerstagabend angerufen», fuhr Sirkku heftig
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