Alle Singen Im Chor
dazwischen. «Er hat gesagt, er braucht alles, was wir noch auf Lager haben, und zwar sofort. Da hatte er gerade kein Geld, aber er wollte dann am Samstag in Vuosaari bezahlen, wenn er das Zeug weiterverkauft hatte. Er hat an dem Abend noch den Schnaps mit dem Auto bei uns abgeholt.»
«Aber nach Jukkas Tod haben wir den Schnaps bei ihm zu Hause gefunden, und er hat euch am Samstag nichts dafür bezahlt», stellte ich fest. «Habt ihr euch über das Geld gestritten?» Timo und Sirkku sahen sich an, als könnten sie sich nicht einig werden, wer das Reden übernehmen sollte. Dann fing Timo an:
«Na ja, wir haben am Abend in der Sauna beratschlagt, was wir tun sollen. Wir hatten ja keine Möglichkeit, das Geld irgendwie einzuklagen oder so … Aber es ging um mehrere tausend Mark, das ist nicht gerade ein Taschengeld für uns … Jukka war den ganzen Abend so merkwürdig, er wollte uns aus dem Weg gehen, das merkte man.»
«Und dann, als die anderen sich schlafen gelegt hatten und wir in sein Zimmer gehen wollten, um mit ihm zu reden, war abgeschlossen!», warf Sirkku empört ein.
«Wir haben halt beschlossen, es am nächsten Tag nochmal zu versuchen», fuhr Timo fort. «Aber dann ist Sirkku in der Nacht wach geworden und aufs Klo gegangen und … Das erzählst du am besten selbst», sagte er zu Sirkku, die plötzlich wieder ganz verängstigt aussah.
«Also … Ich bin auf das obere Klo gegangen, und da hat’s ganz fürchterlich gestunken … Da muss Jyri kurz vorher gekotzt haben. Deswegen hab ich das Fenster aufgemacht, und da hab ich Jukka am Bootssteg gesehen. Ich hatte keine Zeit, Timo zu wecken, ich bin einfach ans Ufer gerannt und hab unser Geld verlangt.» Sirkku machte eine Atempause und trank den Rest ihres mittlerweile kalt gewordenen Kaffees, der, nach ihrer Grimasse zu urteilen, entsetzlich schmecken musste. Vielleicht bezog sich Sirkkus Grimasse aber auf ihre Erinnerungen.
«Aber Jukka wollte dir das Geld nicht geben», drängte ich Sirkku. «Hat er dir nicht gesagt, dass er den Schnaps noch gar nicht verkauft hatte?»
«Nein … Er hat nur gelacht und gesagt, wir dürften eben nicht so gutgläubig sein. Da bin ich wütend geworden und hab zugeschlagen.»
«Zugeschlagen?», fragte ich völlig verdattert. «Womit?»
«Mit der Hand. Oder mit der Faust. Ich weiß es nicht mehr. Ins Gesicht. Jukka hat geflucht, und ich bin weggerannt. Ich hab nicht geguckt, ob er sich verletzt hat. Aber dann am Morgen … Der kann doch nicht an meinem Schlag gestorben sein?»
«Mach dir darüber keine Sorgen, er hat einen Hieb mit der Axt bekommen», versuchte ich sie zu trösten.
«Sirkku und ich haben überlegt, ob er vielleicht irgendwie gestolpert ist und sich den Kopf an der Axt aufgeschlagen hat und dann ins Meer gefallen ist», erklärte Timo niedergeschlagen.
In Gedanken rekapitulierte ich den Laborbericht und das Gutachten des Pathologen. Konnte es so gewesen sein? Ich glaubte nicht recht, dass Sirkku fest genug zuschlagen konnte, um jemanden zu Fall zu bringen. Aber woher wollte ich das wissen? Ich war ja auch stärker, als ich aussah. Die fehlenden Fingerabdrücke wären damit natürlich erklärt. Der Pathologe hatte gesagt, eine Prellung im Gesicht sei eindeutig vor dem Tod entstanden. Das sprach nun wieder dafür, dass Sirkkus Schlag Jukka nicht umgeworfen hatte. Aber Jukka war doch betrunken gewesen. War es am Ende doch so einfach, hatte Sirkku Jukka getötet, ohne es zu wollen? Musste ich sie jetzt verhaften? Das arme Mädchen tat mir geradezu Leid.
«Komm mal her», sagte ich und stand auf. Sirkku gehorchte brav. Ich hob meine Hand wie zum Schwur, spannte die Armmuskeln an und kommandierte:
«Schlag gegen meine Hand. Genau so, wie du Jukka geschlagen hast, so fest du nur kannst.» Sirkku boxte gegen meine Handfläche. Es steckte kaum Kraft dahinter, meine Hand hatte sich keinen Zentimeter bewegt. Allerdings konnte sie mir auch etwas vorspielen.
«Setz dich ruhig wieder hin. Ich glaube nicht, dass du es geschafft hättest, Jukka umzuwerfen. Ich muss aber noch überprüfen, ob es überhaupt so passiert sein kann. Du hast also die Axt am Bootssteg gesehen?»
«Ja … Die steckte da mit der Klinge im Holz.» Es war natürlich möglich, dass Sirkku immer noch log. Vielleicht hatte sie doch die Axt benutzt und danach ihre Nerven so gut unter Kontrolle gehabt, dass sie die Tatwaffe versteckt und vorher noch ihre Fingerabdrücke abgewischt hatte. Aber wieso waren die anderen Fingerabdrücke dann nicht
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