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Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Titel: Alle Toten fliegen hoch: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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kommen, darin lag das Geheimnis. Ich war konzentriert! Hoch konzentriert!
    Mit Stan und Hazel fuhr ich an freien Tagen nach Denver und wir sahen uns Basketballspiele der Profis an. Ich sah Magic Johnson, Larry Bird und meinen Lieblingsspieler, Kareem Abdul-Jabbar. Ein riesiger, eleganter Schwarzer, der schwerelos durch die Luft segelte und den Ball mit einem Dunk krachend in den Korb stopfte. Durch das tägliche Training, die qualvollen Stunden in der Folterkammer und das häufige Schneeschippen hatte ich mich verändert. Alles Dürre, Hühnerbrüstige, Schlaksige war verschwunden. Die gesamte Statik meiner Statur hatte sich gewandelt. Meine schmalen Schultern waren durch das Krafttraining zu tragenden Balken geworden. Meine Brust, mein Bauch, meine Arme, meine Beine – alles strotzte vor Kraft und Bereitschaft. Und dann noch der rasierte Schädel! Je durchtrainierter ich wurde, desto langsamer bewegte ich mich jenseits des Basketballfeldes. Alle im Team taten das. Unendlich lässig saßen wir in den Pausen auf einem Mäuerchen und spuckten ekelhafte Pfützen vor uns auf den Asphalt. Jerry konnte die Olympiaringe rotzen! Ich hatte mir einen eigenwilligen Gang angewöhnt. Größere Schritte, leicht verzögertes Schlendern mit wiegender Hüfte. Diese Art zu gehen habe ich mir in Deutschland innerhalb eines einzigen Tages wieder abgewöhnt. Meine Mutter hatte gelacht und gefragt: »Warum wackelst du denn so komisch mit dem Hintern?«
    Wir alberten herum, wie nur Hochleistungssportler herumalbern können. Der ganze Körper ein einziges zum Sprung bereites Understatement. Immer und überall gaben wir Kostproben unserer Schnellkraft, hoben ab und tippten mit den Fingerspitzen an für Normalsterbliche unerreichbare Deckenlampen oder Stahlträger. Zielsicher warfen wir leere Cola-Dosen in die Mülltonnen und imitierten dabei Stadionsprecher: »Here he comes – Oh my God! Look at this! Oh Jesus, what a great move!« Lange hatte es gedauert, aber auch mein Englisch hatte sich verbessert. Wenn ich mit meinen Eltern telefonierte, suchte ich nach den passenden Worten und wunderte mich, wie hölzern sich meine Zunge anfühlte. Wie sperrig die deutschen Worte waren, wie scharfkantig! Wie die Lippen und die Zunge arbeiten mussten! Wenn ich Englisch sprach, rekelte sich meine Zunge wohlig im Mund und formte die Worte mit minimalem Aufwand. Ich sprach genau so, wie ich mich bewegte. Ohne jegliche Anstrengung, ohne Kraftaufwand, mit lockerem Kiefer: »Ey, dude, I’m starving! I wanna chew some juicy, fat superburgers. Let’s get to it!«
    Nach einem Abendtraining im Januar brachte mich Jerry wie immer nach Hause. Er hatte mehrere Kilo abgenommen, war von Coach Carter in die Startformation für unser nächstes Spiel berufen worden, und in ausgelassener Stimmung. Wir hörten laut Musik und Jerry lenkte das Auto mit zwei Drumsticks. Er trommelte die Musikrhythmen auf das Lenkrad, das Armaturenbrett, den Rückspiegel, die Windschutzscheibe und zum Spaß auch auf meinen Oberschenkel. Ohne ein einziges Mal das Steuer anzufassen, manövrierte er es mit diesen Trommelwirbeln um die Kurven herum, den ganzen Weg von der Highschool bis in unsere Siedlung hinauf, direkt vor meine Haustür. Ich sagte mein zum Ritual gewordenes: »See you tomorrow, Fridge. Take care!« und ging hinein. Vom Flur aus sah ich Stan und Hazel im Sofa sitzen. Beide schwarz angezogen! Die Hand, in der ich das Schlüsselbund hielt, begann zu zittern. Blitzschnell griff ich mit der anderen Hand zu, umfasste den Schlüssel. Stan und Hazel starrten in Richtung Fernseher. Schwarz angezogen, mit fassungslosem Gesichtsausdruck. Ich dachte: »Wer ist es diesmal? Mein Vater, meine Mutter, mein letzter Bruder?« Wie ein Einbrecher huschte ich hinüber in den Flur, der zu meinem Zimmer führte. Sie hatten mich nicht gesehen. Aber ich hatte bemerkt, dass in den Sesseln links und rechts vom Sofa Bill und Brian saßen und auf dem Boden Donald lag. Auch sie alle drei in Schwarz. »Oh Gott«, dachte ich, »sie haben sich alle hier versammelt, um dir die nächste Todesnachricht zu überbringen, und gleich kutschieren sie dich wieder in die menschenleere Kirche.« Lautlos schlüpfte ich in mein Zimmer und setzte mich auf die Kante des Wasserbetts. Ich legte das Schlüsselbund auf den Nachttisch. Es klimperte leise, wie ein Glöckchen kurz vor der Bescherung. Ich zitterte. Sogar meine Bauchdecke und die Haut an meinem Hals zitterten. »Bitte, bitte, bitte«, dachte ich, »nicht schon

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