Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Titel: Alle Toten fliegen hoch: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
Vom Netzwerk:
sprang wie ein Zirkuslöwe durch einen von zwei Cheerleadern gehaltenen, mit Papier bespannten Ring, auf dem »The German« stand. Weil ich zu wenig Anlauf genommen hatte, blieb ich im Papier stecken und musste die herabhängenden Fetzen mit der Hand abreißen. Als ich mich befreit hatte, trabte ich winkend zu meinem Platz und setzte mich. In diesem Moment durchlief mich ein Schauder. Ein Schauder, verbunden mit einer Gewissheit. Ich sah mich um, fühlte mich großartig und dachte: Jetzt bin ich angekommen. Ab jetzt bin ich wirklich angekommen!
    Wir verloren fünfzig zu neunundfünfzig. Ich hatte keine Sekunde aufs Feld gedurft. Hatte aber überwältigt von der Atmosphäre dagesessen und meine Mitspieler angefeuert. Unser Spiel wurde live im Fernsehen übertragen, lief zur besten Sendezeit bei einem Lokalsender. Auf dem Platz hinter mir saß Matt Finger. Er war mein nur für mich zuständiger Assistent. Hinter jedem Auswahlspieler saß so ein Junge aus den unteren Jahrgängen, den Sophomores, und kümmerte sich um einen. Für den Assistenten war dies eine Ehre. Er musste zu jedem Training erscheinen, meinen Spind aufräumen, mir in den Pausen Wasser reichen, meine durchgeschwitzten Trikots zusammensuchen und in den Wäschesack stopfen. Er durfte während der Spiele hinter mir stehen, mich massieren und, ganz wichtig: Er sollte mir Mut machen. Matt nahm das mit meiner Motivation sehr ernst. Obwohl ich nicht spielte, sprach er mir ständig Mut zu. Beugte sich beim Massieren vor und flüsterte mir ins Ohr: »Hey boy, you are really great!« Ich war genervt. »Matt. I didn’t play yet.« »Move! You have to move. Don’t forget: you are THE GERMAN !« »Shut up, Matt!« Nach diesem ersten verlorenen Spiel saßen wir in der Umkleidekabine und boten ein Bild des Jammers. Benny Wiseman weinte und stieß immer wieder mit dem Hinterkopf gegen die Spindtür. Mit Mühe gelang es mir, meine Euphorie zu verbergen und mich in den Trauerchor der Geschlagenen einzureihen. Ich warf mir zum Zeichen meiner Enttäuschung ein Handtuch über den Kopf und verbarg so mein glückseliges Lächeln. Coach Carter kam in die Kabine und warf sein Klemmbrett mit den Taktikanweisungen gegen die Wand. Er ging zu jedem einzelnen Spieler, der auf dem Platz gestanden hatte, zeigte wie ein zürnender Gott mit dem Finger auf ihn und sagte: »Shame on you!« Bei jedem Wort tippte er mit dem Finger in Richtung des Versagers: »Shame« – Tipper – »On« – Tipper – »You« – Tipper. Er ließ kein gutes Haar an der Mannschaft und verließ mit der Ankündigung »From now on you will learn what it means to practise hard!« Türen knallend den Raum. Ich hatte gedacht, dass nach seinem Verschwinden Heiterkeit ausbrechen würde, doch meine Mitspieler waren ehrlich geknickt, am Boden zerstört, und selbst unter den Duschen stand jeder für sich, stumm im warmen Regen seiner Schande.
    Jedes Wochenende hatte ich jetzt ein Spiel. Im Wechsel ein Auswärtsspiel, ein Heimspiel. Unsere Gegner hießen Fort Collins Lambkins, Poudre Impalas, Sheridan Broncs, Gilette Camels, Kelly Walsh Trojans, Natrona County Mustangs, Rocky Mountains Lobos oder Rock Spring Tigers. Oft dauerte die Anreise Stunden. In Rawlins fuhren wir an der Abzweigung zum Gefängnis vorbei und über der Stadt sah ich die Adler kreisen. Wir hatten unseren eigenen Tourbus. Hinten saßen die Spieler, jeder hatte einen Doppelsitz für sich allein, im vorderen Teil gedrängt die Assistenten. Ganz vorne neben dem Busfahrer Coach Carter. Auf dem Bus, mit dem wir in die entlegensten verschneiten Winkel Wyomings fuhren, stand in großen Lettern LARAMIE PLAINSMEN . Wenn wir ankamen, streckten wir unsere gestauchten Körper wie Raubkatzen nach dem Mittagsschläfchen und stiegen ins Freie. Betraten den Ort, das Neuland unseres nächsten Sieges, mit der Überheblichkeit von Eroberern, und Matt und seine Mitsklaven trugen uns die Sporttaschen ins Hotel hinterher. Es war wichtig, dass diese Taschen groß waren. Vier Wochen musste ich mich gedulden bis zu meinem ersten dreiminütigen Einsatz. Nur, wenn wir haushoch führten oder hoffnungslos zurücklagen, wurde ich eingewechselt. Bei einem Heimspiel gegen Sheridan, einem unserer härtesten Gegner, gelang mir mein erster Korb. Ich rannte wie von Sinnen mit geballten Fäusten über den Platz und schrie »Yeahhhhhhhh!«. Die Spieler Sheridans sahen mich fassungslos an, führten sie doch mit über zwanzig Punkten. Doch ich jubelte, jubelte so, als hätte ich in

Weitere Kostenlose Bücher