Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
fleischfressende Riesenechsen, ein unterirdischer Ozean mit Strudel und eine versunkene Stadt, in der ein Drache mit langer Schlabberzunge im Hinterhalt lag. Dann brach ein Vulkan aus, und der Drache wurde unter glühender Lava begraben.
In der Küche stand ein großes Einmachglas mit hartgekochten und gepellten Eiern in Salzwasser. Da ging Gustav hin, wenn er ein russisches Ei essen wollte. Ei halbieren, Dotter mit dem Löffel rauspolken, Essig, Pfeffer und Salz in die Mulde streuen, Senf drauf, Dotter umgekehrt wieder aufsetzen und runter damit. Ich aß auch einmal ein russisches Ei, und mir kamen die Tränen.
Beim Mittagsschlaf hatte Oma geträumt, eine Riesengesellschaft bekochen zu müssen. Sie habe immer solche Träume. »Ganze Paläste reinigen, Teppiche ausklopfen, Fische ausnehmen und all sowas daher. Hausfrauenträume eben!«
Gustav saß in seinem Zimmer und studierte Meyers Großes Personenlexikon. Er war berühmt dafür, daß er Lexikons auswendiglernte.
»Lexika heißt das.«
Im Regal standen ein Modell vom Eiffelturm und eine Bobby-puppe mit roter Weste und schwarzem Bobbyhut, ein Souvenir aus London. Und Bücher in rauhen Mengen. Der große Ploetz. Duden Stilwörterbuch. Das Handbuch des Deutschen Bundestages. Kulturfahrplan. Der Fischer Weltalmanach 1969. Kurze Geschichte Afrikas. Das treffende Zitat. Wer ist wer?
Um Gustav zu erschrecken, sprang ich ihm auf den Schoß, wobei ich sah, daß er innen in dem aufgeklappten Lexikon eine Zeitschrift mit Nacktfotos liegen hatte.
»Jetzt reicht’s aber, du Quälgeist«, rief er und schmiß mich raus.
Zu Opas 76. Geburtstag kamen schon vormittags acht andere Opas und qualmten Zigarren, bis man im Wohnzimmer keine Luft mehr kriegte.
Warum haben die Ostfriesen so flache Hinterköpfe? Weil ihnen beim Wassertrinken immer der Klodeckel auf den Kopf fällt.
Oma saß solange mit den anderen Omas in der Küche.
Als die Luft wieder rein war, ordnete Gustav im Wohnzimmer seine Bierdeckelsammlung. Rund dreihundert Stück hatte er schon beisammen. Daß es die umsonst gab, wollte ich nicht glauben, aber Gustav nahm mich mit in eine Kneipe, und da kriegte ich fünf Bierdeckel geschenkt vom Wirt.
Opa studierte das Kursbuch, um die beste Verbindung für uns zu finden. Dann und dann ab Jever, in Sande umsteigen, Ankunft in Hannover um soundsoviel Uhr, oder einen Zug früher nehmen und zweimal umsteigen.
So sei das im Krieg schon gewesen, sagte Oma. »Da freut man sich über einen Brief, und was steht drin? Meine liebe Emma, heute ist dein Brief vom achten neunten angekommen, der nur vier Tage gebraucht hat, während der vom neunten achten sechzehn Tage lang brauchte, im Gegensatz zu dem Brief Nummer vierzehn vom dritten sechsten! Zum Auswachsen!«
Von Hannover brachten Jörg und Tante Dagmar mich mit dem Auto zurück nach Koblenz. Dabei krakeelten sie ein Lied von einem Heideblümelein, das Erika hieß.
Mama machte Tante Dagmar eine Szene: Ob es stimme, daß ich immer nur Kuchen gekriegt hätte statt regulärer Mahlzeiten?
»Ich kann bloß hoffen, daß du uns hier keinen verzogenen Bengel wieder abgeliefert hast!«
Renate wollte sich eine neue Single kaufen. Ich erzählte Stephan Mittendorf davon. Wir verabredeten uns für vier Uhr, mußten aber fast bis halb sechs warten, bis Renate sich an der neuen Single sattgehört hatte. How do you do, nanaaa, nana, nanaaa, nana …
Dann kam ein Anruf aus Jever: Tante Lina sei gestorben. An die konnte ich mich kaum noch erinnern. War das die aus Hooksiel gewesen?
Die Arbeiter, die die Holzverschalung für die Vorgartenmauer bauten, hatten Filzhüte auf.
Im Schulbus stritt ich mich mit Stephan Mittendorf, der für Rainer Barzel war, den alten Schleimscheißer, und nicht für Willy Brandt. Stephan Mittendorf hatte sie nicht mehr alle.
Frau Frischke schrieb die Zehn Gebote an die Tafel. Gegen das vierte, das siebente und das achte hatte ich schon wer weiß wie oft verstoßen, aber das behielt ich für mich. Melanie Pape wollte wissen, was mit Notlügen sei, ob man da eine Ausnahme machen dürfe.
»Strenggenommen nicht«, sagte Frau Frischke. Auch Notlügen seien Lügen. »Es gebe aber Grenzfälle, wo dem Nächsten mit einer Notlüge mehr geholfen sei als mit der Wahrheit.«
Also doch. Dann war ich beim achten Gebot aus dem Schneider. Meine Lügen waren immer Notlügen gewesen. Ohne Not hätte ich ja überhaupt nicht lügen müssen.
In der Turnstunde hätten wir auf dem neuen Trampolin hüpfen sollen, aber das war
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