Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
dieser Tagung eine Rede gehalten hatte, auf plattdeutsch, im Audienzsaal des Schlosses. Den Artikel hatte Oma ausgeschnitten. In Jever gehörte Opa zur Lokalprominenz.
In der Veranda wimmelte es von Ameisen. Die krabbelten durch ein Loch im Fensterrahmen herein und waren nach Opas Meinung auf irgendwelches Ungeziefer in den Topfpflanzen aus. Auf den Fensterbänken bekämpfte Oma die Ameisen mit Backpulver, das sie nicht abkonnten, und im Vorgarten mit kochendheißem Wasser: Das kippte sie, ohne mit der Wimper zu zucken, auf die verkehrsreichsten Ameisenstraßen. So erbarmungslos wie das eine Katervieh bei Wilhelm Busch:
Ein schwarzer Kater schleicht herzu,
Die Krallen scharf, die Augen gluh.
Hinten im Garten rupfte Opa Löwenzahn und anderes Unkraut aus dem speckigen Kartoffelackerboden. (Drei Kreuze, daß ich nicht auch in Jever zu sowas herangezogen wurde.) Am Ende des Grundstücks hatte es früher mal einen Maschendrahtzaun gegeben und dahinter einen Bauernhof, und man hatte die Schweine mit Fallobst füttern können. Die waren ganz versessen darauf gewesen. In ihrer Freßgier hatten sie gequiekt und sich um jeden einzelnen Appel gebalgt, auch wenn er schon schimmelig und braun gewesen war, mit Wurmlöchern und weißem Pilzbewuchs.
Der Bauer hatte seinen Hof irgendwann verkauft, und jetzt war leider keine Sau mehr da.
Gegen Bayern trat Real Madrid diesmal mit Breitner an, und der wurde von den Bayern-Fans gnadenlos ausgepfiffen. Gerd Müller sorgte mit seinen Toren für einen 2:0-Sieg, und dann kamen noch Ausschnitte aus den anderen Spielen, aber die erwiesen sich, wie Gustav sich ausdrückte, als »weniger erquicklich«. Aus den europäischen Vereinswettbewerben schieden Eintracht Frankfurt und der HSV nach ihren Niederlagen aus.
»Da beißt die Maus keinen Faden ab«, sagte Gustav, und dann ging er pullern, ziemlich lange und laut, denn er hatte sechs Flaschen Bier getrunken.
Oma war am Abtrocknen, und im Küchenradio lief ein Hit dieser schwedischen Trallala-Band, mit der ich mich nicht anfreunden konnte.
Knowing me, knowing you (ah-haa)
There is nothing we can do ...
Gustav erlaubte mir, seine Bücher zu lesen. Er besaß unter anderem »Alle meine Tore« von Uwe Seeler, eine Chronik der amerikanischen Präsidenten und auch ein Buch über die Beatles, aber das hatte er selbst nicht bis zu Ende gelesen: Es tangiere ihn, wie er sagte, nur peripher, ob sich die Beatles die Zähne mit Blendamed oder Colgate putzten, dem Doppel-Stopper gegen Mundgeruch.
Das Nachschlagewerk »Das treffende Zitat« war nach Stichworten geordnet.
Das jüdische Volk wagt einen unversöhnlichen Haß gegen alle Völker zur Schau zu tragen, es empört sich gegen alle seine Meister; immer abergläubisch, immer gierig nach dem Gute anderer, immer barbarisch –, kriechend im Unglück und frech im Glück.
Ein Zitat von Voltaire. Ob das Buch aus der Nazizeit stammte? Nein, das war eine Neuauflage aus dem Jahr 1974, und Gustav verriet mir, daß auch Oma keine wind- und wetterfeste Demokratin sei. Wenn er mir das hier einmal stecken dürfe. Die habe zum Beispiel was gegen Hänschen Rosenthal, diesen hopsenden Fernsehfritzen, weil das ein Jude sei. Bei dessen Sendung Dalli-Dalli habe Oma mal gesagt: »Geh mir weg mit diesem Itzig!«
Eines Morgens machte Omas Herz Theater, und sie mußte zu Tante Doktor. Von der verschriebenen Medizin fühlte Oma sich schlagartig aufgemöbelt, aber was einfach nicht weichen wollte, trotz Tante Doktors Behandlung, war Opas ewiger Husten. Wenn Opa sich morgens im Badezimmer mit elektrischem Gebrumm rasierte, konnte man das Gehuste und Geröchel gut bis in die Küche hören. Das waren die Salven, die jeden Morgen ertönten, während Oma den Frühstückstisch deckte. Brettchen, Tassen, Butterdose, Teelöffel, Messer, Marmeladengläser und Kandiszuckertopf.
»Vati hat wieder seinen ollen Pferdehusten«, sagte Oma dann.
Als im Radio ein Bericht darüber kam, daß irgendwelche kubanischen Söldner in Angola gelandet seien, um dort den Frieden zu sichern, kuckte Opa mich böse an und rief: »Waffen! Was haben denn Waffen mit Frieden zu tun?«
Opa hatte einen Rochus auf die Kubaner, aber was da wirklich los war in Angola, zwischen Russen, Amis, Angolanern und Kubanern, das entzog sich meiner Kenntnis.
Vorm Einschlafen las ich in Gustavs alten Fußballbüchern. Wie Helmut Rahn 1954 den Siegtreffer im WM-Endspiel erzielt hatte, aus der Sicht von Fritz Walter:
Der Ball flitzt knapp am Pfosten vorbei in den
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