Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
irgendwie der Ball mal so glücklich vor die Füße, daß ich bloß noch draufzuhalten brauchte, dachte ich. Für das erste Tor in meiner Laufbahn wurd’s ja auch allmählich Zeit.
Und tatsächlich – einen hoch hereingegebenen Eckball faustete der Torhüter genau in meine Richtung! Jetzt das Leder locker und elastisch von der Brust abtropfen lassen und als Dropkick mit Karacho unter die Latte jagen: Das wäre die richtige Reaktion gewesen. Tausendmal trainiert. Allerdings ohne Lampenfieber und rempelnde Gegenspieler, und auch nicht in einem Stadion, das urplötzlich einem Hexenkessel glich.
Von der Seite hörte ich Uli Möller brüllen: »Mach ihn rein!«
Bei der Brustannahme berührte der Ball meine Schulter, und der Schiedsrichter pfiff ab: Handspiel.
Und zurück, marsch-marsch.
Für den Rest der ersten Halbzeit lief ich wie umnebelt übers Feld.
»Den hättest du reinmachen müssen, Martin«, sagte Uli Möller in der Pause.
Unter einer Eileiterentzündung konnte sich auch Hermann nichts Konkretes vorstellen, aber etwas Fieses sei das ganz bestimmt. Eine Erbkrankheit vielleicht. »Wer weiß, was ihr für räudige Vorfahren habt!« In seiner Familie sei noch nie einer krank gewesen. Sein Vater habe in seiner gesamten beruflichen Laufbahn noch keinen einzigen Tag auf der Arbeit gefehlt. »Für uns ist das Krankfeiern unter unserer Würde!«
Nur einmal, aber davon wisse er nur aus Erzählungen, habe sein großer Bruder an einer schweren Krankheit gelitten, mit lebensgefährlichen Fieberschüben, und die Ärzte hätten ihn aufgegeben. »Und dann haben meine Eltern jemanden zu Hilfe geholt, von dem sie gehört hatten, daß er auch in anderen hoffnungslosen Fällen die letzte Rettung gewesen war. Und zwar einen Gesundbeter! Und der kam dann an und hat meinem Bruder irgendwie die Hand aufgelegt und die passenden Gebete gesprochen ...«
»Also ein Wunderheiler.«
»Nenn ihn, wie du willst! Der hat seinen Dienst getan, und simsalabim, zwei Tage später war mein Bruder wieder munter und gesund. Obwohl die Ärzte ihn schon abgeschrieben hatten.«
»Und das soll ich dir glauben?«
»Das brauchst du mir nicht zu glauben. Ich geb nur wieder, was meine Eltern erzählt haben. Und die tischen mir gewöhnlich keine Lügenmärchen auf.«
Als Hermanns Mutter zwei Jahre nach ihrer Hochzeit noch immer kein Kind unterm Herzen getragen hatte, sei der Pfarrer angestrunzt gekommen und habe gefragt, was da los sei.
Am meisten zu schaffen machten mir, neben der Schule, die Klavierstunden und der nichtendenwollende Frondienst im Kampf gegen die Unkrautplage.
»Meinst du etwa, uns anderen würde das Vergnügen machen?« fragte Mama. »Das war auch nicht das Ziel meiner Träume, zwei große Gärten am Hals zu haben!«
In der Küche füllte sie eine Thermoskanne mit Kaffee ab, für Renate, die im Ludmillenstift nur Muckefuck bekam.
Für Geschichte brauchte Volker alles mögliche über die USA, und er graste fluchend das ganze Haus nach dem Stern -Sonderheft ab. Überall wühlte er rum, auch in meinen Schränken, wie ’ne Wildsau, und wir hätten uns fast gekloppt.
Und wo lag’s, das blöde Heft? Bei Volker auf der Fensterbank.
Ich selbst war in Geschichte erst beim Dreißigjährigen Krieg, der ausgebrochen war, als böhmische Adlige drei vornehme Leute durch ein Schloßfenster auf einen Misthaufen geschmissen hatten. Der Prager Fenstersturz.
Um der Klasse einen Eindruck davon zu vermitteln, wie es zugegangen war, wenn den umherziehenden Soldaten der Sinn nach Plünderung, Brandstiftung, Vergewaltigung und Folterung gestanden hatte, las der Wolfert ein paar Seiten aus Grimmelshausens »Simplizissimus« vor.
Den Knecht legten sie gebunden auf die Erd, steckten ihm ein Sperrholz ins Maul und schütteten ihm einen Melkkübel voll garstig Mistlachenwasser in Leib: das sie ein schwedischen Trunk nenneten ...
Dem gefesselten Bauern hatten sie nasses Salz an die Fußsohlen geschmiert und es von einer Ziege ablecken lassen, so daß er vor Lachen starb.
In der Pause fragte mich Hermann, was ich denn bevorzugt hätte, die Ziegenzunge oder den Schwedentrunk? Und ob ich eigentlich was für Tanja Gralfs übrig hätte? Ich würde so oft in deren Richtung kucken.
Das gewöhnte ich mir ab.
Für Renate waren gleich zwei dicke Briefe von Olaf angekommen und dazu noch eine Karte und eine amtliche Mitteilung, aus der hervorging, daß Renate in Bonn weiterstudieren dürfe.
Ein geschäftliches Schreiben hatte auch ich erhalten, von dem
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