Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
rein, mit dem üblichen Stullengebirge auf dem Teller und dazu noch Radieschenvierteln und Gewürzgurken, die beim Zerkauen krachten wie ’ne Mischmaschine.
Mein Rad hatte ich wohlweislich schon am frühen Abend nach unten gebracht.
»Welche Uhus spielen denn da?« fragte Papa mit vollem Mund.
Und da geschah das Wunder, kurz vor Ablauf der regulären Spielzeit – 2:2 durch Hölzenbein! Yappadappadu! In der allerletzten Minute! So wie damals Karlheinz Schnellinger im Jahrhundertspiel gegen Italien oder anno ’66 Wolfgang Weber im Wembleystadion! Und das auch noch mit dem Hinterkopf, so wie einst Uwe Seeler im Viertelfinale gegen England in Mexiko!
Beim 2:2 blieb’s auch nach zweimal fünfzehn Minuten Verlängerung, und dann ging das Elfmeterschießen los. Fünf Schuß für jede Mannschaft, immer abwechselnd. Da hätten wir Breitner gebraucht! Das dachte in dem Augenblick bestimmt auch Helmut Schön.
Die Tschechen fingen an. 1:0. Na und?
Kein Problem für Rainer Bonhof: 1:1.
Dann wieder die Tschechen: 2:1.
Flohe war der Nächste ... 2:2!
Und wieder ein Tscheche ... 3:2. Verflucht!
Für uns lief Hannes Bongartz an und verwandelte den Schuß. 3:3. Uff uff!
Sepp Maier hätte ruhig mal einen Elfer halten können, aber auch gegen das 4:3 war er machtlos, und nun durfte uns kein Fehler mehr unterlaufen.
Als Schütze Nummer vier legte sich Uli Hoeneß den Ball zurecht. Wieso nicht Dieter Müller? Oder Dietz? Oder Hölzenbein? Uli Hoeneß hatte doch schon 1974 versagt, in der Frankfurter Wasserschlacht. Da war er an Polens Elfmetertöter Tomaszewski gescheitert.
Und was machte Hoeneß diesesmal, die alte Pflaume? In die Wolken schoß er! Meilenweit über das Tor!
Jetzt ging’s um alles oder nichts. Noch ein Treffer, und die Tschechen wären Sieger. Konnten die nicht auch mal danebenhauen? Oder den Ball verstolpern? Oder ihn Sepp Maier in die Arme schießen?
Leere Hoffnungen! Die Tschechen gewannen das Elferschießen mit 4:3, und das war’s. Gute Nacht, good evening, bon soir.
Was ich noch zu sagen hätte,
dauert eine Zigarette ...
Dieter Müller war überhaupt nicht mehr zum Zug gekommen.
Ich lag noch lange wach, aus Ärger über Helmut Schöns kapitale Fehler bei der Mannschaftsaufstellung, und als ich endlich eingeduselt war, polterte Mama ins Zimmer: »Was denkst du dir eigentlich? Hier nachts um halb zwei noch das Licht brennen zu lassen?«
Bevor ich begriff, was überhaupt los war, haute Mama wütend auf den Ausknopf meiner Leselampe, stürmte wieder raus und zog die Tür hinter sich zu, und ich saß im Dunkeln, mit Herzklopfen, hellwach.
Hatte ich nicht eben noch davon geträumt, daß mir ein Mädchen aus der Parallelklasse bei uns im Kellerabgang einen Kuß geben wollte? Irgendwas Anrüchiges hatte sich da angebahnt, aber die Erinnerung an den Fehlschuß von Uli Hoeneß machte alles zunichte.
Hätte Mama mich nicht weiterschlafen lassen können? Was kostete denn so ’ne 45-Watt-Birne an Strom, wenn man die brennen ließ? Und war die Ersparnis eine schlaflose Nacht wert?
Ich knipste die Lampe wieder an und überlegte, womit ich mich müde lesen könnte. Edgar Allan Poe?
Elend ist mannigfach. Die irdische Erbärmlichkeit vielgestaltig. Dem Regenbogen gleich überspannt sie den weiten Horizont ...
Das war nicht ganz das richtige zum Einpennen, wenn man von etwas Schönerem zu träumen hoffte als von Nachtgespenstern. Also Buch zu und Licht wieder aus. Das Gehirn konnte man leider nicht so leicht ausknipsen.
Licht aus, Licht aus,
Vater holt den Dicken raus,
einmal rein, einmal raus,
fertig ist der kleine Klaus.
Woher kannte ich diesen Spruch überhaupt? Aus der Straßburger Straße?
Der neue Mieter unseres Hauses auf dem Mallendarer Berg war Jurist, und den wollte Papa vor der Vertragsunterzeichnung persönlich kennenlernen, weil er mit Vertretern dieses unseriösen Berufsstandes schon zu viele schlechte Erfahrungen gesammelt hatte. Nach Papas Meinung waren die Juristen Halunken, alle miteinander. Wenn’s Spitz auf Knopf stehe, vor Gericht, dann würden sie zusammenhalten, auch entgegen den Interessen ihrer Mandanten. Eine Krähe hacke der anderen kein Auge aus.
Mittags half ich beim Kartoffelschälen, wovon ich als Linkshänder am linken Zeigefinger eine wunde Stelle kriegte, wegen der ständigen Reibung an der einen Krümmung des für Rechtshänder hergestellten Kartoffelschälmessers.
»Freedom’s just another word for nothin’ left to lose«, schrie eine Rocksängerin aus dem
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