Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Tschechoslowakei vergessen konnte.
Abends rief Onkel Dietrich an, der Papa gratulieren wollte: »Hat er sich schon wieder was abgeschnitten?«
Der Fernseher blieb aus, und Oma Schlosser erzählte von der Flucht. Im Januar ’45, mitten in der Packerei, sei der Familie plötzlich ein Hase ins Haus gebracht worden: »Der Freiherr von Rosenberg, bei dem Vater mal eine Haustaufe vollzogen hatte, brauchte Bargeld, um seine Leute auszahlen zu können, und so war’s zu dieser Treibjagd gekommen.« Dem Hasen hatte Oma das Fell über die Ohren gezogen und ihn bratfertig gemacht. »In Schirwindt war ich so manches Mal mit einem steifgefrorenen Hasen, der mich eine Mark gekostet hatte, von Litauen nachhausegepilgert ...«
Papa hörte sich das an, zigarettenrauchenderweise, obwohl er vielleicht lieber in der Werkstatt Schrauben sortiert hätte, und ich ging in mein Zimmer hoch, Englischvokabeln lernen. Disapproval: strong feeling or opinion against.
Bei einer Stelle der vierten zweistimmigen Invention kriegte Papa jedesmal zuviel. Das könne unmöglich richtig sein, was ich da spielte, sagte er, aber es stimmte, und ich spielte ihm das Note für Note vor.
»Dann sind entweder die Noten verdruckt oder Bach war verrückt«, sagte Papa. »Laß Oma das mal spielen!«
Oma klimperte das Stück herunter wie nix, obwohl sie es noch nie geübt hatte, und sie gab mir recht: Die Stelle stimme, da sei nichts verdruckt.
»Dann hat der alte Bach ’n Dachschaden gehabt«, erklärte Papa, und das war das Ende der Diskussion.
Für meine Plattenhüllenzeichnung kriegte ich ’ne Vier, weil ich angeblich mal wieder das Thema verfehlt hatte. »Thema war die Gestaltung des Umschlags einer musikalischen Langspielplatte«, sagte der Lorber. »Was du gezeichnet hast, ist ein politisches Plakat.«
Na und? Seit wann war es verboten, politische Botschaften auf Plattenhüllen zu plakatieren? Von der Kunst der Plattenhüllengestaltung hatte der Lorber keinen blauen Dunst. Sonst wäre dieser Blödmann ja auch Grafiker geworden und nicht Pauker.
Ich nahm mir vor, in Zukunft jedesmal das Thema zu verfehlen, absichtlich, um den Lorber zu ärgern. Das würde dem ganz recht geschehen.
Bei einer Klausurtagung in Wildbad Kreuth hatte die CSU beschlossen, ihre Fraktionsgemeinschaft mit der CDU aufzulösen, und nun kriegten sich die Fredis von der CDU gar nicht wieder ein vor Wut auf ihre ehemaligen Fraktionskollegen, aber während ich mir noch ins Fäustchen lachte, setzte der HSV Gladbachs Titelträumen einen Dämpfer auf. Zwei Punkte mußten die Borussen im Volksparkstadion abgeben, und weil Bayern und Braunschweig gesiegt hatten, war Gladbachs einstmals so stolzer Vorsprung auf drei Pünktchen zusammengeschmolzen. Als nächsten Gegner würde die Borussia den Tabellenvorletzen auf dem Bökelberg begrüßen, den 1. FC Saarbrücken. Bis dahin mußte die Mannschaft sich gefangen haben. Gegen Saarbrücken durfte sie nicht verlieren, und erst recht nicht zuhause, denn der Prestigeverlust wäre zu gewaltig, gar nicht erst zu reden vom Punkteverlust, aber was sollte der ganze Quatsch? Im Grunde genommen ließen diese Geschichten mich allesamt viel kälter als der eine lange Blick, den Michaela Vogt mir in der letzten Deutschstunde geschenkt hatte. Der war mir durch und durch gegangen.
Sie hatte mich angeblickt, und ich hatte ihren Blick erwidert, bis der Wolfert mit seinem Gesabbel den Zauber zerbrach.
Michaela Vogt. Weshalb war die mir nicht schon früher aufgefallen? Und was hatte die mir sagen wollen mit diesem langen Blick in meine Augen? Von den meisten anderen Mädchen in der Klasse unterschied sich Michaela Vogt schon dadurch, daß sie gertenschlank war.
In der nächsten Deutschstunde suchte ich wieder den Augenkontakt zu Michaela Vogt, aber diesmal sah sie gar nicht auf. Sie sah verheult aus, und ich hätte sie gern getröstet, aber wie?
Michelle ma belle,
These are words that go together well ...
Sie wußte nichts von meiner Verliebtheit, aber vielleicht wäre sie schwach geworden, wenn sie mich einmal in meinem Zimmer abends verträumt am Fenster sitzen gesehen hätte statt immer nur vormittags unausgeschlafen im Klassenraum. In der Schule konnte ich meine Gefühle nicht zeigen, und so ging es ja möglicherweise auch Michaela Vogt. Auf einer einsamen Insel hätten wir einander leichter näherkommen können als im Kreisgymnasium.
Wenn man bis über beide Ohren verliebt war, interessierte es einen jedenfalls nicht mehr so stark, in welcher
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