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Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)

Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)

Titel: Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Henschel
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Hermann auf dem Schulhof hinterher, und das brachte mich auf die Idee, auch den Dralle, Ralle, den Holzmüller und den Bohnekamp einzuweihen. Gar nicht erst fragen, ob sie den Roman schon gelesen hätten, sondern gleich mit der Tür ins Haus fallen: »Tschanz war’s!«
    »Tschanz? Welcher Tschanz?«
    »Der Mörder in dem Buch, das wir lesen sollen. Der heißt Tschanz! Wie man’s spricht: Tschanz!«
    Als sie gerafft hatten, worum es ging, wollten sie mir an die Gurgel springen, doch am Ende der Pause konnte man dem Holzmüller, dem Dralle, Ralle und dem Bohnekamp dabei zusehen, wie sie den noch nicht aufgeklärten Mitschülern selbst auf die Schulter schlugen und ihnen zuriefen: »Tschanz war’s!«
    Auch Hermann Gerdes konnte sich dem allgemeinen Kenntnisstand nicht entziehen, trotz zugehaltener Ohren, denn der Albers hatte die Parole groß an die Tafel geschrieben:
    HEY, LEUTE! TSCHANZ WAR’S!
    »Das verzeih ich dir nie«, sagte Hermann. »Du Schwein!«
    Nach der Pause dirigierte der Wolfert die gesamte Klasse in ein Neubauzimmer, wo wir uns einen KZ-Film ansehen sollten: Stacheldrahtzäune, Wachttürme, Häftlingsbaracken, Judensterne, Bunkerzellen, Gaskammern und Krematorien. Leichen über Leichen, nicht viel mehr als Haut und Knochen, Totenschädel, geköpfte Rümpfe, Gebeine und ganze Gebirge von Brillen, Schuhen und Haaren.
    »Aus den Körpern – man bringt es kaum über die Lippen – aus den Körpern stellt man Seife her«, sagte der Kommentator. »Aus der Haut ...« Den Satz sprach er nicht zuende, und das mußte er auch nicht, denn man sah die Stücke tätowierter, abgeschälter und getrockneter Menschenhaut.
    Und für die Killer, die das getan hatten, war Opa Jever in den Krieg gezogen, statt ins Exil zu gehen oder bei der erstbesten Gelegenheit zum Feind überzulaufen.
    »Kann ich bitte raus?« fragte Ulla Nölting. »Mir ist schlecht.«
    Von Michael gab’s keine neue Post, aber dafür einen Stapel Hefte mit Informationen zur politischen Bildung , über Amerika, China, die Weimarer Republik, die Sowjetunion, die parlamentarische Demokratie, die Entstehung der Bundesrepublik und den Widerstand 33–45, und von Bertelsmann die Beatles-LP. Auf der Hülle waren die Fab Four abgebildet, wie sie vor einem Baum standen, und im Hintergrund zuckten gemalte Gewitterblitze.
    Ich schlang mein serbisches Reisfleisch runter und schenkte Wiebke meinen Nachtisch, um mir so schnell wie möglich die Platte anhören und dabei in den Heften blättern zu können.
    Good day sunshine, good day sunshine ...
    Damit fing es an, und das Blättern ließ ich bald bleiben, denn auf politische Probleme konnte man sich bei dieser Musik nicht konzentrieren.
    Close your eyes and I’ll kiss you,
    tomorrow I’ll miss you ...
    Warum hatte mir bloß nie einer gesagt, wie gut die Beatles waren? Und wozu sollte ich mich jemals wieder mit Bachs zweistimmigen Inventionen abquälen, wenn die richtige Musik ganz woanders spielte?
    Whoa, whoa, I never realised what a kiss could be ...
    Ich machte noch am selben Tag von meinem Widerrufsrecht Gebrauch: Nein, ich wollte kein Mitglied im Lesering werden, aber diese Platte würde ich nie wieder hergeben.
    In Geschi klemmte der Wolfert eine alte Karte in den Ständer, die schon Risse hatte. Das russische Kaiserreich unter Peter dem Großen. Was ein riesiges Land! Dagegen war Deutschland nur Pipikram. Wie ein Hering, der versucht hätte, einen Blauwal zu verschlucken.
    Eigentlich hätte Rußland ja längst schon mal Fußballweltmeister werden müssen, bei der Ausdehnung und den Bevölkerungsmassen. Da mußte es doch irgendwo elf Freunde geben, die es mit den westeuropäischen Mannschaften aufnehmen konnten, hätte man meinen sollen, aber die deutsch-russische Länderspielbilanz sprach eine andere Sprache: 7 Spiele, 5 deutsche Siege, 2 Niederlagen, 29:7 Tore. Nur Dynamo Kiew durfte man nicht unterschätzen. Deren Spieler hatten Eintracht Frankfurt 1974 aus dem Europapokal geworfen.
    Um mit den europäischen Seemächten gleichziehen zu können, hatte Peter der Große eine Hafenstadt errichten lassen, in einer Sumpflandschaft, von Bauern, und es war ihm ganz egal gewesen, wieviele dabei ersoffen oder an Fieber starben. Ein echtes Herzchen, dieser Zar. Seine Soldaten hatte er mit Brandzeichen markieren lassen und zum Tode Verurteilte gern auch mal eigenhändig geköpft.
    Mittags holte Mama Papa aus dem Ludmillenstift ab. Seinen eingegipsten Unterarm trug er in einer Schlinge vorm Bauch, und nach dem

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