Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
lassen!«
»Das ist ja nichts Neues«, sagte Papa und blickte resigniert zum Fenster hinaus, obwohl es da gar nichts zu sehen gab, wegen der dicken Gardine, und Volker griente höhnisch. Als ob dem seine eigenen Tischmanieren noch nie einen Rüffel eingetragen hätten.
Über Ostern besuchten uns Oma und Opa Jever. Mama hatte vorher wie ein Irrwisch jedes Staubkorn aus dem Haus beseitigt und Volker angebölkt, weil er so blöd gewesen war, sich in seinem Zimmer beim Rauchen erwischen zu lassen. Hähähä.
Das Eierbemalen fiel dieses Jahr aus. Mama kolorierte einfach einen Haufen Eier in Wassergläsern mit Kaltfarben: rot, gelb, grün, blau und orange. Das war alles.
An der Haustür fertigte sie zwischendurch zwei Zeugen Jehovas ab. Die wollten mit ihr über die Bibel diskutieren und schnatterten auch gleich drauflos, aber Mama ließ sich nicht so leicht überrumpeln. »Da sind Sie hier an der falschen Adresse«, sagte sie und machte die Haustür zu.
Das fehle ihr noch, sich mit diesen Spinnern zu streiten. »Sollen die doch selig werden mit ihrem komischen Verein! Wenn man die über die Schwelle läßt, dann quasseln sie einen in Grund und Boden! Und dann tun sie immer so, als ob sie Seelen für das Himmelreich retten wollten, aber in Wirklichkeit suchen sie bloß Doofe, die ihnen die Arbeit abnehmen sollen!«
Beim Teetrinken schimpfte Oma über Opas Hörgerät. »Nichts als Macken, und dabei hat das Ding mehr als tausend Mark gekostet!«
Opa fingerte die ganze Zeit daran herum. Mit dem Lautstärkeregler stimmte irgendwas nicht, und der Bügel des Hörgeräts wollte einfach nicht korrekt über Opas raumgreifender ostfriesischer Ohrmuschel sitzenbleiben.
Rein zum Verzweifeln.
Volker zischte nach dem Abendbrot ab, und die Altvorderen zwitscherten sich einen an und lagen längst im Bett, als im Ersten um Viertel nach elf ein Science-Fiction-Film anfing: Auf der atomar verseuchten Erde herrschten Gangster, vor denen ein einsamer Raumfahrer seine kleine Grünplantage in Sicherheit bringen wollte. Der Film gefiel mir, aber ich schlief zwischendurch immer wieder ein und kriegte auch das Ende nicht mit, sondern nur noch den Abspann, und dann muß ich wohl noch einmal eingeschlafen sein, denn auf einmal stand Mama in der Wohnzimmertür und schreckte mich auf: »Was machst du denn noch hier? Geh gefälligst ins Bett! Und stell den Fernseher aus! Ich glaub’s ja bald nicht! Weißt du überhaupt, wie spät das ist?«
Ich war schon am Aufstehen und den Fernseher am Ausmachen, aber Mama setzte noch einmal nach: »Daß du dich nicht schämst! Und wir wollten doch morgen früh so schön Ostern zusammen feiern! Wie soll ich das denn Oma und Opa erklären, wenn du dabei vor Müdigkeit umfällst? Die sind extra hierhergekommen, um mit uns ein Familienfest zu begehen, und jetzt treibt sich Volker irgendwo in der Weltgeschichte rum, und du liegst hier vor der Glotze statt im Bett! Die kleinste Freude könnt ihr einem verderben! Ich weiß manchmal wirklich nicht mehr, womit ich das alles verdient haben soll!«
Die letzten Worte hatte Mama nahezu schluchzend hervorgestoßen, und dann stampfte sie stöhnend die Treppe hinauf.
Mein Gott. Wozu die Aufregung? Da war man eben mal vorm Fernseher eingepennt. Na und? Was soll’s? Das brauchte doch Oma und Opa nicht zu jucken.
Beim Zähneputzen sah ich mir tief in die Augen. Mußte ich ein schlechtes Gewissen haben? Nur weil ich in der Nacht auf Ostersonntag erst um kurz vor eins ins Bett ging?
Die Eiersuche nach dem Frühstück war ein einziger Krampf. Renate und Wiebke waren ja ausgeflogen, Volker schützte Zahnweh vor, um seinen Rausch ausschlafen zu können, und ich mußte ganz allein die doofen Ostereier im Garten suchen, unter Omas und Opas und Mamas und Papas Augen, und dabei noch so tun, als ob ich Lust dazu hätte und das alles ganz toll fände. Sonst wäre Mama möglicherweise wieder eingeschnappt gewesen.
»Von den Schokoladenosterhasen sollst du deinen Geschwistern aber welche abgeben«, sagte Oma.
Jaja. Wir gingen dann zurück ins Haus, und ich nahm meinen Freßkorb mit nach oben.
Wenn später bei mir mal ein Stoßtrupp der Zeugen Jehovahs vor der Tür stünde, würde ich die Leutchen gern hereinbitten und sie dann mit meiner eigenen Bibelfestigkeit verblüffen. Das würde ihnen die Sprache verschlagen. Aber ob ich das über mich brachte? Die gesamte Bibel auswendig zu lernen?
Zur Probe nahm ich mir das Geschlechtsregister der Patriarchen von Adam bis Noah vor: Adam
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