Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
einmal so, als ob sich alle Welt gegen die Fohlenelf verschworen hätte.
Als der Bohnekamp nachmachen wollte, wie lässig Henry Fonda als Marshal Wyatt Earp auf der Veranda in Tombstone mit dem Stuhl gekippelt hatte, brauchte der Niebold nur einmal unter die Kufen zu treten, und der Bohnekamp vollführte unfreiwillig eine Rolle rückwärts und verrenkte sich dabei die Schulter. Faustrecht der Prärie!
Anstelle der Frau, in die Wyatt Earp sich verliebt hatte, wäre ich diesem Westernhelden lieber gefolgt, als in Tombstone Schulunterricht zu geben.
Oh my darling, oh my darling,
Oh my darling, Clementine ...
Dieses Lied ging mir noch tagelang im Kopf herum.
Eine bodenlose Enttäuschung war der Spielfilm »Die barfüßige Gräfin« mit Humphrey Bogart. Was hatten denn Gräfinnen in Humphrey-Bogart-Filmen zu suchen?
Wenn es einen Menschen gab, der noch weniger als ich erlebte, konnte es wohl nur Michael Gerlach sein. Davon zeugte sein nächster Brief.
Hier DMGS – wer dort?
Ach Gottchen, wie ist das langweilig! Es ist nicht zu glauben. Einfach zum Reihern. Was soll ich bloß machen außer Pennen und Lesen. Am besten gar nichts.
Bei Euch scheint’s ja hoch herzugehen. Aber außer Saufen und Zigarrenpaffen war wohl auch nicht viel? Immer noch besser als nix, wie der Fachmann sagt.
Aus lauter Langeweile hab ich mir schon den Fotoapparat von meinen Eltern geschnappt und geknipst wie ’n Wilder. Hätt’ ich allerdings das »Foto« gesehen, das ich bei Dir gemacht habe, dann wär’s wohl nicht so weit gekommen. Wie ich mich kenne, is’ keins von den 36 Bildern was geworden. Und dabei hab ich sie zu schon zum Entwickeln gegeben. Das gibt mal wieder ’ne Blamage.
Eben kam Holger reingeschlurft. Dem sieht man die Langeweile im Gesicht stehen. Und wenn ihm langweilig ist, fängt er an, um sich zu schlagen. Deswegen mach ich mich hier auch so oft wie möglich aus dem Staub. Einfach in den Bus setzen und nichts wie weg. Zwei Stunden in der Stadt rumrennen und wieder ab nach Hause. Schön blöd, aber wirksam.
Mann, schreibe ich einen Stuß. Ich darf mir den Brief gar nicht nochmal durchlesen, sonst zerfetz ich ihn sofort. Ach Gottelottchen, da erstinkt man ja vor Langeweile! Bei Euch kann man sich wenigstens vollaufen lassen und kostenlos dicke Zigarren paffen. Aber hier? Außer ranziger Milch von vor einer Woche gibt’s da nichts im Kühlschrank. Natürlich noch zerlaufenen Käse und steinharte Salami. Den Wirsing vom Vortag nicht zu vergessen. Ich sag’s ja – zum Kotzen!
In Meppen kotzt man, weil man Schnaps säuft und Havannas raucht. In Vallendar, weil man den Wirsinggeruch nicht aus der Nase bekommt. Ist das etwa Gerechtigkeit?
Ich mach jetzt Schluß, sonst wird der Brief zu blöd und zu dick.
Meine Überstunden beim Vokabelpauken zahlten sich aus. Für meine letzte Englischarbeit hatte ich eine Eins bekommen, und die Gewonk hatte untendruntergeschrieben:
This is a good piece of work, Martin.
Damit wollte ich Mama imponieren, aber nachdem sie sich mein Meisterwerk durchgelesen hatte, sagte sie: »Also, dieser Lobhudelei deiner Lehrerin kann ich nicht beipflichten. Die hat zwei dicke Fehler übersehen ...«
Das war nun also der Dank. Ich hatte geglaubt, Mama würde mich beglückwünschen, doch sie reichte mir die Arbeit vom Wohnzimmersofa aus ohne weiteren Kommentar zurück und vertiefte sich dann wieder in die Meppener Tagespost .
Okay. Wenn es Mama scheißegal war, ob ich mir in der Schule Mühe gab, dann konnte ich’s auch lassen.
Draußen pfiff ein lausig kalter Wind um die Hausecken. Ich machte meine Zimmertür von innen zu und legte eine Beatles-Platte auf.
Was Michaela Vogt in diesem Augenblick wohl trieb? Wenn die gewußt hätte, wie oft ich an sie dachte, wäre sie wahrscheinlich nach Australien ausgewandert, um sich vor mir zu retten.
Oder aber sie saß sie jetzt vielleicht in ihrem Zimmer und träumte davon, daß ich davon träumte, wie sie von mir träumte ...
Zu meinem sechzehnten Geburtstag kriegte ich einen Radiorekorder von Neckermann. Damit war ich endlich in der Lage, auf Kassetten überspielte Musik woanders als im Wohnzimmer zu hören.
Und was gab’s außerdem? Von Tante Dagmar die LP »Death of a Ladies’ Man«, von Oma und Opa Jever zwanzig Mark, von Renate und Olaf ein Buch über den Faschismus, von Tante Gertrud eine Platte mit Reden von Robert Ley, dem einstigen Führer der Deutschen Arbeitsfront, von Oma Schlosser ein Taschenbuch mit europapolitischem Gesülze von
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