Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
die Fresse.« Da sagte Kai nichts mehr, obwohl er älter war und Helmut mit dem Gipsbein gar nicht aus dem Bett gekonnt hätte.
In dem Buch von Tante Dagmar war ein Bild von einem Mann, der miesepetrig aussah, weil er eine Glatze hatte, aber wenn man das Buch umdrehte, sah der Mann frohgelaunt aus, weil er oben Haare hatte, die andersrum nur die Barthaare waren: Sah Herr Stoppel sich im Spiegel, litt er große Seelenqual – unten war er wie ein Igel, oben aber gänzlich kahl. Eines Tages, liebe Leute, drehte er den Spiegel um, und da sah er voller Freude seine neue Haarfrisur!
Meine Blinddarmnarbe war ein weißer Strich mit Punkten an beiden Seiten, und Mama schärfte mir ein, daß ich mich nicht gleich wie wild bewegen dürfe, sonst gehe die Narbe wieder auf.
Die Narbe wollten alle sehen, auch Papa. Ich hatte Angst, wegen der Scheune übers Knie gelegt zu werden, aber von der Scheune wurde nicht mehr geredet.
Was ich für die Schule aufholen mußte, brachte Mama mir bei. Das Dehnungs-h in Kohl, Kuh, mehr, Möhren, Ohr, sehr, weh und Zeh.
Auf dem Schulhof war es jetzt Mode, andere mit auf den Bauch geschnalltem Ranzen anzurempeln, aber ich wollte nicht mitmachen, wegen meiner Blinddarmnarbe.
Mit Ingo Trinklein traf ich mich in der Pause an der Stelle, wo immer die Schulbrote hingeschmissen wurden. Seine Eltern hätten ihm verboten, sich mit mir zu verabreden, sagte Ingo. Er werde sonst ins Internat kommen, das sei Scheiße. Aber die Scheune habe schon toll gebrannt.
Weil die Wohnzimmerjalousie klemmte, schraubte Papa den Deckel ab. Im Jalousiekasten lag ein Spatz, der noch nicht flügge war. Ein erwachsener Spatz war mit dem Nest in der Jalousie eingerollt worden und totgegangen.
Der kleine Spatz war nackt und piepte. Papa holte eine Styroporschachtel aus dem Keller. Der Spatz kam in die Schachtel und die Schachtel auf den Kleiderschrank im Nähzimmer.
Wir fütterten den Spatzen mit Brotkrümeln. Papa bot ihm auch einen Regenwurm an, aber den mochte der Spatz nicht.
Nach der Schule lief ich immer gleich ins Nähzimmer. Der Spatz aß nicht viel. Er wurde immer schwächer. Der hätte Fäden dranhaben müssen, wie der Spatz vom Wallrafplatz, um sich zu bewegen.
Dann war er tot, und wir beerdigten ihn im Garten.
Von der Styroporschachtel waren zwei Ecken abgebrochen. Es quietschte, wenn man die Stücke aneinander rieb, und Renate kriegte Gänsehaut davon und hielt sich die Ohren zu. Renate wußte, daß ich unter den Armen und am Rücken kitzelig war. Sie selbst war nirgendwo kitzelig, aber jetzt hatte ich raus, wie ich mich fürs Kitzeln an ihr rächen konnte.
Im Wäldchen fand ich einen Ast, der wie der Buchstabe V aussah. V wie Volker. Ich legte den Ast auf einen Weg und versteckte mich im Gebüsch. Wenn Volker zufällig da langlief, würde er den Ast sehen und sich wundern, daß der wie ein V aussah, und dann würde ich aus dem Gebüsch kommen und Volker verraten, daß ich den Ast da hingelegt hätte.
Ich wartete lange, aber Volker kam nicht.
Abends machten Mama und Papa eine Flasche Sekt auf, weil sie die Baugenehmigung gekriegt hatten. »Na endlich«, sagte Mama, »nach dem ganzen Ämtergerenne ewig! Mein lieber Herr Gesangverein!«
Von dem Sekt mußte Papa rülpsen.
Jetzt würden wir bald in unser eigenes Haus ziehen, mit einem eigenen Zimmer für jeden und mit einem Hobbyraum, in dem wir Fußball spielen könnten. Oder Rugby, noch brutaler.
In der Schule schrieb Frau Kahlfuß was an die Tafel, das wir abschreiben sollten. Hans und Suse laufen in den Garten. Das Nest unter dem Strauch ist leer. Das Nest am Zaun ist leer. Da ruft der Vater: »Sucht doch einmal im Zimmer.«
Mama, Renate, Wiebke und ich saßen am Eßtisch und malten Ostereier an, als ein fremder Mann durch die offene Terrassentür reinkam. Auf den Armen trug er Volker, der ganz blutig war.
»Ist das Ihrer?« fragte der Mann.
»Ogottogott, ja!« rief Mama.
Der Mann legte Volker aufs Wohnzimmersofa. Volker war mit seinem Fahrrad Kindern ausgewichen, mit Karacho gegen eine Mauer geknallt und über den Lenker geflogen.
Mama wischte das Blut von Volkers Stirn und tupfte Jod auf die Wunde. Nach einer Stunde konnte Volker wieder sitzen und Renate helfen, Eier auszublasen.
Als ich im Fernsehen einen Bumerangwerfer gesehen hatte, bat ich Mama, mir einen Bumerang mitzubringen, und sie brachte wirklich einen mit vom Einkaufen und dazu Baisers, die weiß und süß waren und knackten, wenn man reinbiß.
Der Bumerang war orange und aus
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