Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
irgendeinen kleinen Trickbetrüger vertrat, der es nicht für nötig gehalten hatte, persönlich zu dem Prozeß zu erscheinen. An Onkel Rudis Stelle wäre mir das peinlich gewesen, denn die Gegenpartei hatte ganz offensichtlich recht mit ihren Vorwürfen gegen seinen Mandanten, aber Onkel Rudi sagte, daß in einem Rechtsstaat auch Gesetzesbrecher Anspruch auf einen Rechtsbeistand hätten, der sich ihrer vorbehaltlos annehme. »Prinzipiell kann jeder zu mir kommen, um sich von mir vor Gericht vertreten zu lassen, mit Ausnahme der Terroristen von der RAF, weil die unser Rechtssystem ablehnen. Es würde mir innerlich widerstreben, die Mordtaten politischer Überzeugungstäter zu legitimieren ...«
Tante Dagmars Kollege Ulrich Horn, der ebenfalls in der Baumstraße wohnte, zeigte mir eine alte Ausgabe von konkret und sagte: »Hier, da kannste mal sehen, wie beim Spiegel zensiert wird ...« Abgedruckt war auf der aufgeschlagenen Seite ein Artikel über die Proteste der Studenten gegen die Außenpolitik der Bundesregierung, mitsamt den sinnentstellenden handschriftlichen Kürzungen und Änderungen des ehemaligen Spiegel -Chefredakteurs Claus Jacobi. »Der ist mittlerweile bei Springer in Lohn und Brot«, sagte Ulrich Horn, »und da paßt er auch gut hin. Wenn man als politischer Journalist nach oben kommen will, dann muß man ungefähr so sensibel und charmant sein wie dein Onkel Rudolf. Falls du verstehst, was ich meine ...« Die meisten Journalisten würden sich selbst aus gutem Grund als freischwebende Arschlöcher bezeichnen.
Am Dellbrügge, von dem ich ihm erzählte, ließ Ulrich Horn kein gutes Haar: In der DDR würde so einer als »Volksschädling« abgestraft.
Haha – der Dellbrügge als Kettensträfling!
Zum Abschied schenkte Ulrich Horn mir ein Taschenbuch mit Zeichnungen von Gerhard Seyfried: »Wo soll das alles enden – 1 kleiner Leitfaden durch die Geschichte der undogmatischen Linken«. Da rief einer: »Proletaaarier aller Lääänder ...!!« Und die Proletarier riefen zurück: »Ja, bitte?« – »Um was geht’s?« – »Is’n los, Mann?« – »Zur Stelle, schieß los!« – »Hier!« Und ein Chinese rief: »Hiel!« Der Agitator schrie: »Vereiniiigt euch!« Und die Proletarier erwiderten: »Wird gemacht, Mann!« – »Gute Idee!« – »Gebongt! Klaro!« – »Knorke!« – »Machen wir, machen wir!« – »Schönen Dank auch!« Und der Chinese rief: »Veleinigen! Au ja!«
Gut war auch die Zeichnung von dem winzigen, auf einer irdischen Straße gelandeten Ufo, dem ein riesiger Lkw entgegenkommt – »RÖHR! DRÖHN!« –, während es einen Funkspruch absetzt: »Qwii! Soeben auf dem Planeten Erde gelandet! Gleich werden wir wissen, ob man hier leben kann!«
Oder dann ein »Triebwagen« mit heraushängender Zunge: »LECHZ! HECHEL!« Und ein »Kreuzverhör« mit einem Grabkreuz, das von einem Polizisten angeschnauzt wird: »Wo waren Sie in der Nacht vom 2. auf den 3. Juni?« Ein anderer Polizist geriet ins Stottern: »POP! STOLIZEI! ÄH: STEI! POLIZOP! NEIN, ÖH ... STOP, POLIZ ... Weg isser ..!«
Von Hedda Moorbach, die meine Kusine und Tante Dagmars Nichte war, traf eine Ansichtskarte aus der Bretagne ein: Der nächstgelegene Strand befinde sich in vierzig Kilometer Entfernung, und die Küsten seien viel bergiger als die deutschen.
Ich wäre ja lieber ein ganzes Jahr lang mit dem Finger auf der Landkarte herumgefahren als drei Wochen lang in die Bretagne, aber als ich das gesagt hatte, brauste Tante Dagmar auf: »Du redest manchmal schon genauso dusselig daher wie dein Alter, der sich am liebsten in seinem Keller verkriecht! Nun gönn’ denen doch ihren Urlaub! Deine Tante Luise ist ’ne schwerarbeitende Hausfrau, und die hat’s weißgott verdient, daß sie mal was anderes zu sehen kriegt als ihre Kochtöpfe und ihren Stopfpilz! Diese arroganten Intellektuellen, die sich einbilden, daß alles ein Dreck wär, was die ganz normalen Leute zur Erholung brauchen, die hab ich gefressen! Also tu mir bitte den Gefallen und quatsch nicht so überhebliches Zeug zusammen, bevor du selbst ’ne Familie am Hals hast!«
Ich – ein arroganter Intellektueller?
Mamas 49. Geburtstag feierten wir abends zu dritt in einem griechischen Restaurant. Zwei oder drei Kolleginnen hatten noch dazustoßen wollen, aber die eine sagte telefonisch ab, wegen Unpäßlichkeit, und die anderen fehlten unentschuldigt.
Das Fleisch war gräßlich scharf gewürzt, und ich durfte den fiesen Nachgeschmack mit insgesamt drei
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