Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Lage! Wiebke, Deine liebe Schwester, fühlt sich in jeverscher Luft sehr wohl. Von herzlichen Grüßen an Dich hat sie nicht gesprochen. Gustav genießt seine Ferien in vollen Zügen; er ist viel mit seinen Freunden an der Küste, im Watt und auch im Vogelschutzgebiet. Nun sei trotz allem lieb gegrüßt und grüße auch Dagmar schön von Oma und Opa!
An meinen Film hatte ich schon überhaupt nicht mehr gedacht.
Im Zug fand ich einen ganz guten Platz in einem Abteil, wo sonst nur ein dösender Fettwanst hockte, und ich nahm mir das Buch von Vance Packard über die Tricks der Reklamefachleute vor. In einem Kino in New Jersey, stand da, seien 1956 während einer Filmvorführung ganz kurz ein paar Werbedias für Eiskreme eingeblendet worden. Die Zuschauer hätten die Bilder nicht bewußt wahrnehmen können, aber hinterher trotzdem alle nach Eiskreme gegeiert.
So kriegten sie einen dran, diese Typen, ob man wollte oder nicht.
In Meppen war inzwischen eine Tischtennisplatte angeschafft worden. Die paßte gerade eben noch so auf den oberen Flur, daß man sich links oder rechts dran vorbeiquetschen konnte.
Mit Volker lieferte ich mir turbulente Kämpfe, bis irgendwann keiner von uns mehr Lust dazu hatte, die Scheißtischtennisbälle wieder hochzuholen, wenn sie alle durchs Treppenhaus nach unten geflogen waren. Binnen kurzem hatten wir drei von den Dingern versehentlich zertrampelt, und als Volker seinen Schläger einmal vor Wut an die Wand schmiß, ging der Griff ab.
Papa wollte, daß wir die Tischtennisplatte nach jedem Training abbauten und zur Seite stellten. Wenn man die Platte dann wieder brauchte, mußte man jedesmal das Netz neu festfriemeln und spannen, und das machte keine Laune.
Als ich im Bett lag, fiel mir ein, daß ich noch ein Fremdwort nachschlagen wollte.
puer’il [lat.], kindisch, zurückgeblieben.
Den Abenteuerfilm mit Douglas Fairbanks hatte Gustav also zu kindisch gefunden. Was wäre dem denn dann wohl lieber gewesen? Eine Milieustudie mit Liv Ullmann als abgetakelter Ehefrau?
Nach dem Aufstehen stolperte ich auf der Treppe über einen Brief von Michael.
Haudujuduh?
Jetzt habe ich mich endlich akklimatisiert und kann auch wieder einen meiner berühmt-berüchtigten Briefe verfassen.
So langsam habe ich auch meine Erkältung auskuriert. Das war vielleicht ’ne Qual! Uhu in der Nase und Briketts als Mandeln. Später hab ich aus der Nase obendrein geblutet wie ’ne Sau. Mindestens drei Liter Verlust. Na, nu is’ ja alles vorbei.
Vor mir liegen grad noch anderthalb Wochen Ferien. Schauderhaft, wie schnell die Zeit plötzlich herumgeht, wenn man keine Schule mehr hat. Man schlummert am Ferienanfang ein, und nach dem Aufstehen hat man bereits die erste Mathestunde hinter sich. So geht das. Alle reden sie, wie doll schlau der Einstein gewesen ist mit seiner Relativitätstheorie. Doch das Phänomen der zwei Zeitgeschwindigkeiten (Schule – Ferien) hatter auch nich’ erklärt. Das wäre allerdings wohl mehr ein Fall für Freud gewesen. Aber dieser Blödmann ist ja ebenfalls schon tot.
Hast Du meine Karte aus Brighton gekriegt? An meine Eltern hab ich auch eine geschrieben. Nach Italien. By Air Mail. Toll, nich’? Das Dumme ist nur, daß sie bei denen nie angekommen ist. Einfach weg, die Karte. Und das bei umgerechnet 40 Pfennig Porto. Schweinerei, vermaledeite.
Eigentlich müßte ich ja jetzt mit duften Ferienerlebnissen aufwarten, doch daraus wird nichts. Mit Erlebnissen war’s nämlich Essig in Brighton. Wir haben zwar dauernd von Messerstechereien und ähnlichen Dingen gehört, und es fuhren auch jede Menge Krankenwagen herum, und am letzten Tag haben wir einen Besoffenen gesehen, der sich stöhnend auf dem Bürgersteig gewälzt hat, aber was ist das denn im Vergleich mit einem Weltkrieg? Die Engländer sind eben ein saftloses Volk. Minderwertig. Geradezu lebensunwert, besonders wenn man sich diese rotschöpfigen Typen ansieht. Rassenschande, wohin das arische Auge auch schweift. Wenn das der Führer wüßte!
So, keine Zeit mehr, muß noch faulenzen. Tschö.
Volker nahm jetzt Fahrstunden, und er wollte sich von Papa Geld für ein gebrauchtes Motorrad pumpen, denn mit dem Ferienjob hatte es mal wieder nicht geklappt.
Ein Darlehen ließ Papa sich allerdings nicht so leicht herausleiern; schon gar nicht für die Investition in ein lebensgefährliches Hobby. »Diese ganze Motorradfahrerei ist glatter Selbstmord«, sagte er. »Die Versicherungsprämien sind nicht umsonst so hoch.«
»Ja,
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