Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
hineingewollt, aber dann habe sie doch noch Gefallen an der Sache gefunden, besonders an den alten Holländern, und Wiebke habe auch zwei Reitstunden hinter sich und von Kim deren alte Reithose geschenkt bekommen, und sie hätten eine nette Lehrerin besucht, eine Kollegin von Therese, mit acht Meerschweinchen ...
»Guinea-Pigs«, sagte Wiebke. »Die heißen da Guinea-Pigs!«
Nachdem Mama einmal kurz Atem geholt hatte, ging’s weiter: Fisch und Chips hätten sie oft gegessen, aber mittags auch mehrere Male Bratwurst und Bratkartoffeln und die Essensreste nach englischer Sitte auf den Rasen geworfen, und da hätten sich dann jedesmal die Elstern und die Eichelhäher drum gestritten. »Und dabei fällt mir ein, Therese hat ihre Küche umgebaut und vergrößert, und zwar sehr zu deren Vorteil, wie ich sagen muß, da ist jetzt alles viel praktischer eingerichtet, und die Küche ist auch nicht mehr so düster wie früher ...«
Zur Teezeit machten sich von Minute zu Minute mehr Geburtstagsgäste in der Bude breit, vor allem Omis in Omas Alter, und sie brachten ihr lauter Geschenke mit, über die man sich wohl nur als Oma freuen konnte: Marzipaneier, ein Pfund Jacobs-Kaffee, ’ne Topfpflanze, noch ’ne Topfpflanze und noch ’ne Topfpflanze und zwischendurch einen Roman von einer gewissen Victoria Holt: »Der Fluch der Opale«.
Ich hatte richtiggelegen mit meiner Vermutung: Filbinger war zurückgetreten, aber nicht voller Reue über die von ihm gefällten Todesurteile, sondern voller Groll auf die Leute, die ihn der Lüge überführt und ihm seine angeblich niemals gefällten Todesurteile in Erinnerung gerufen hatten. Ihm sei »schweres Unrecht angetan worden«, behauptete er, und das hatte man ja nun wirklich gern, daß so ein Typ, der den Nazis als Marinerichter gedient und Deserteure zum Tode verurteilt hatte, sich wie eine beleidigte Leberwurst aufführte, weil er in einer Republik nicht mehr Ministerpräsident sein durfte und mit einer dicken Pension aufs Altenteil abgeschoben wurde.
Statt hinter Gittern zu sitzen oder sich in einem sowjetischen Arbeitslager nützlich zu machen.
Gustavs Favorit bei der bevorstehenden Papstwahl war Paul Zungrana aus Ouagadugu in Obervolta, aber meiner Meinung nach hatte ein Neger dabei keine Chance.
In dem Stummfilm »Der Dieb von Bagdad« mußte der Hauptdarsteller Douglas Fairbanks unentwegt klettern, kämpfen, springen, schwimmen, tauchen und reiten und Drachen und Unterwasserungeheuer bezwingen.
»Das ist mir zu pueril«, sagte Gustav irgendwann und ging raus.
Pueril? Dieses Wort würde ich zuhause mal nachschlagen.
Am Ende schwebte Douglas Fairbanks mit seiner Liebsten auf einem fliegenden Teppich davon.
Mama nahm mich nach Hannover mit, und Wiebke blieb in Jever. Leider war mein Film noch nicht entwickelt. Den würde Oma dann abholen und mir nachsenden müssen. Ich ließ ihr schweren Herzens das Geld dafür da.
In Hannover hatten Mama und Tante Dagmar noch allerhand zu beplappern, und als Mama endlich weg war, gab’s Spaghetti mit Hackfleischsoße und dazu eisgekühlte Coca-Cola.
»Für meine Mutter«, sagte Tante Dagmar beim Essen, »ist deine Mutter der Star der Familie, und dann kommen Therese und Gisela und Luise, und wer überhaupt keine Kinder hat, der darf sich hinten anstellen ...«
Häch? Und ich hatte immer geglaubt, daß Oma Jever und Tante Dagmar ein Herz und eine Seele wären.
»Sind wir ja auch. Aber eben nicht in jeder Beziehung ... und du selbst? Interessierst du dich noch immer für Politik?« Dann solle ich aber bloß nicht alles glauben, was in der Zeitung stehe. Das sei allerbestenfalls die halbe Wahrheit. »Also, ich könnte dir flüstern, was man sich hinter vorgehaltener Hand zum Beispiel über Willy Brandt erzählt, diesen Halbgott der Sozis, wie der’s damals getrieben haben soll in seinen Sonderzügen ...«
Was, was, was?
Die meisten Manschetten, sagte Tante Dagmar, hätten die Journalisten vor Herbert Wehner. Manche würden sogar weinen, wenn sie den interviewen müßten. Der stauche sie alle zusammen.
In einem Film, der abends im Fernsehen lief, spielte Louis de Funès einen Kunstsammler, der einem gnatzigen, von Jean Gabin gespielten Grafen nachjagte, weil sich auf dessen Rücken eine künstlerisch unermeßlich wertvolle Tätowierung befand. Hätte ich ja nicht haben wollen, so ein tätowiertes Hautstück, weder an der Wand noch auf ’m Buckel.
Im Funkhaus stattete ich Mama einen Besuch in ihrem Büro ab, in der Redaktion namens
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