Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)

Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)

Titel: Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Henschel
Vom Netzwerk:
Tour begleiten; der werde mich dann einweisen.
    Sehr viel war dabei nicht abzustauben, aber wenn man den Verdienst auf ein Vierteljahr hochrechnete, dann läpperte sich einiges zusammen.
    Gustav werde immer fetter, sagte Mama. Der war 1953 ja unehelich geboren und als kleines Kind erst hierhin und dann dorthin verfrachtet worden, bevor er bei Oma und Opa Jever gelandet war. Und die hatten ihn dann eben aufgezogen, quasi als sechstes Kind, damit Gustavs Mutter, Tante Gisela, als Sekretärin arbeiten konnte und sich nicht dauernd um ihn kümmern mußte. Jedenfalls wäre ich an seiner Stelle auch nicht heiß darauf gewesen, mich der Menschheit von meiner vorteilhaftesten Seite zu präsentieren.
    Mit Heike trampte ich dann nach Dortmund, zu Onkel Walters Familie. Glückaufsegenstraße 57 im Ortsteil Hacheney. Bei denen könne man’s ganz gut aushalten, hatte ich Heike erzählt. Die seien anders drauf als meine Eltern.
    Es war eine säuisch komplizierte Tramperei, aber irgendwann kamen wir am Dortmunder Hauptbahnhof an. Von dort mußten wir mit der Linie 5 bis zur Endstation fahren. Dann waren es noch fünfzig Meter zu Fuß.
    Die Fragen waren die üblichen. Wie’s den Eltern und den Geschwistern gehe. Serviert wurden uns Käsebrote, Wurstbrote und Tee und Bier und Wein.
    Für Heike und mich hatten Onkel Walter und Tante Mechthild eine Matratze in einem der Kinderzimmer bezogen.
    »Und wo wollt ihr euch hier umkucken?« fragte Onkel Walter uns beim Frühstück. Dabei klähte seine und Tante Mechthilds Jüngste sich das Kinn mit flüssigem Eigelb voll. (Niemals Kinder kriegen!)
    Der Dortmunder Tierpark, der in Fußnähe lag, interessierte uns nicht. Wir fuhren mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Stadt und sahen uns in einem linken Buchladen um.
    Karl Marx, »Das Kapital«:
    Eine gewisse Ware, ein Quarter Weizen z. B., tauscht sich mit x Stiefelwichse oder mit y Seide oder mit x Gold usw., kurz mit andern Waren in den verschiedensten Proportionen …
    Ob es Friedrich Engels wohl gewurmt hatte, daß er immer erst an zweiter Stelle genannt worden war, so wie Paul McCartney bei den Kompositionen von Lennon & McCartney oder wie Oliver Hardy bei den Filmen von und mit Laurel & Hardy?
    Eine anheimelnde Stadt war Dortmund nicht. Im Krieg zerbombt und nachher häßlich wiederaufgebaut. In den Fuffzigern hatten Oma und Opa Schlosser mit ihren noch nicht flüggen Kindern in Dortmund-Barop gehaust, als Flüchtlinge, und sich irgendwie durchgeboxt. Opa Schlosser hatte damals das Pfarramt versehen, aber sich nach allem, was ich wußte, niemals mit den Dortmunder Christen angefreundet.
    Wir suchten eine Pizzeria auf, promenierten danach durch die nichtssagende Innenstadt, verschnabulierten das Abendbrot im krähenden Kreis der Kleinfamilie und gingen abends ins Theater: Bertolt Brecht, »Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui«. Einmal donnerten von oben haufenweise Zeitungspacken auf den Bühnenboden, so daß man aufschrak.
    Heike meinte hinterher, wir hätten vielleicht besser ins Kino gehen sollen.
    Onkel Walter fuhr uns anderntags zu einem Autobahnparkplatz, wo ich Heike fotografierte, beim Apfelessen, bevor wir den Daumen raushielten.
    Wir wurden von einem Pärchen mitgenommen, das nach Aurich wollte und uns bis Meppen mitnehmen konnte. Anfangs waren wir höchst zufrieden damit, aber schon nach kurzer Zeit gingen uns die Schnulzen, die dieses busselnde Liebespaar abnudelte, immer schrecklicher auf die Nerven. Dieses Pärchen gab sich feuchte Küsse, beim Fahren, und am liebsten, wenn die kitschigsten Melodien erschollen. Der gesamte Roy-Black-Dreck und dazu noch irgendwelcher Plunder namenloser Interpreten. Heike und ich hielten hinten Händchen und drückten gequält zu, wenn wieder einmal eine besonders schmalzige Stelle kam.
    Zuhause donnerte ich meine Schmutzklamotten in die Waschtonne und setzte mich vor den Fernseher. Die polnischen Arbeiter, angeführt von Lech Walesa, verhandelten jetzt mit Regierungsvertretern.
    Der Name dieses Arbeiterführers wurde von den Nachrichtensprechern immer wieder anders ausgesprochen: Lech Wawesa, Wech Wawängßa, Lech Walengßer, Weck Waffèssa, Wej Wawéwa … Die schwitzten unter Garantie schon immer Blut und Wasser, wenn sie wußten, daß sie eine neue Nachricht aus Polen vorlesen sollten.
    »Hättest du denn auch die Güte, uns mal was aus Dortmund zu berichten?« fragte Mama. »Wie es denen da geht? Und ob die Kinder gesund sind?«
    Der Spiegel -Reporter Jürgen Leinemann

Weitere Kostenlose Bücher