Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
abgesehen von der Tatsache, daß ich eine Freundin gefunden hatte.
Auf Heike und Henrik mußte ich ’ne halbe Ewigkeit warten. Ich war schon zu drei Vierteln eingepennt, als sie eintrudelten, mit Fahne und Getuschel.
Nachts flatterte mir jählings irgendein Insektenvieh vor die Nase, und ich schlug rund um mich zu.
»Mach hier nich’ so’n Larry«, sagte Heike.
Henrik gab einen formvollendeten Furz von sich und atmete im Schlaf behaglich auf.
An dem nächsten Morgen, der graute, vermißte Henrik seinen Geldbeutel. Wir suchten alles ab, wie die Verrückten, aber vergeblich, und dann warfen wir zusammen, was wir noch besaßen: Heike sieben Gulden und ’n paar Zerquetschte, ich nichts und Henrik einen zerknitterten Fünfmarkschein.
Wie weit würden wir damit kommen?
Den Geldbeutel fand Henrik dann in einer seiner Jeanshosentaschen wieder und baute uns zur Feier des Fundes eine bombastische Tüte.
Unser täglich Dope gib uns heute.
Einmal rafften Heike und ich uns dazu auf, einen Gasthof aufzusuchen, ohne Henrik, denn der war nicht mehr gehfähig.
An der Bar hatten wir die Wahl zwischen Oude Jenever und Jonge Jenever. Das waren Wacholderschnäpse. Mir schmeckte der zuckrige Oude Jenever besser.
»Ach, Schlosser, du Süßer«, sagte Heike, und dann mußten wir wieder zurück in unser purkeliges Zelt.
In Polen streikten die Arbeiter in über zweihundert Betrieben und verlangten höhere Löhne und das Recht, Gewerkschaften zu bilden.
War der Ostblock am Zusammenkrachen?
Es sei doch ganz zweckmäßig, sagte Henrik, daß es den Ostblock gebe, so als militärisches Gegengewicht zur Nato.
Das fand auch Heike. Die Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt, die würden alt aussehen ohne die Unterstützung durch die Sowjetunion, und in Kuba, da hätten es die Arbeiter besser als in den kapitalistischen Polizeistaaten in Mittel- oder Lateinamerika.
Ich hätte trotzdem nicht in der Ud SSR oder einem ihrer stalinistischen Satellitenstaaten wohnen wollen, sondern im Zweifelsfall auf Ameland.
In Meppen war Tante Therese zu Besuch. Ich verzog mich erst einmal mit drei, vier Ausgaben des Stern und der Zeit in die Badewanne, mit Sandelholzshampoo und zwei Flaschen Warsteiner. Wie herrlich, so im Schaum zu baden! Nur im Nacken hatte ich ihn nicht so gern.
Beim Überfliegen der Nummern des Stern und der Zeit stellte ich fest, daß ich nichts verpaßt hatte. Da stand nichts drin, was man gelesen haben mußte.
Wiebke war im Wohnzimmer am Schnattern: In Verona, da habe sie eine Aufführung der Oper »Carmen« besucht.
Wie interessant!
Dann fingen die Nachrichten an. Der Bundestag hatte ein sogenanntes Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz verabschiedet. Das richtete sich wahrscheinlich vor allem gegen Flüchtlinge aus Diktaturen, denen bundesdeutsche Rüstungsfirmen Waffen lieferten.
Mama und Papa überlegten, ob sie noch einmal bauen sollten. Vielleicht ein Fertighaus in dem Neubaugebiet am Schlagbrückener Weg?
»Oder sind wir zu alt dafür?« fragte Mama.
»Man ist so alt, wie man sich fühlt«, sagte Tante Therese.
Dann wurde noch lange über Oma Jevers Geburtstagsfeier in Itzum geredet, und Papa verzimmerte Gewürzgurken.
Von seiner Urlaubsreise kam Volker mit einem fiesen Sonnenbrand zurück. Im Wohnzimmer pellte Wiebke Volker die angefaulten weißen Hautlappen vom Rücken ab und drapierte sie auf der Couchtischdecke, bis Papa dagegen einschritt: »Könnt ihr nicht mal aufhören mit dieser Ferkelei? Da kriegt man ja das kalte Kotzen!«
Michael Gerlach hätte mir mal wieder schreiben sollen, doch der dachte nicht daran. Ich mahnte mit einem Kärtchen seine Briefschulden an.
Einen Kredit in Höhe von 1,2 Milliarden Mark wünschte sich der polnische Parteichef Gierek von Bonn. Die polnische Mißwirtschaft ärgerte mich. Gegenüber den Revanchisten hätte man als Sozialist doch besser dagestanden, wenn der Ostblock der westlichen Welt wirtschaftlich überlegen gewesen wäre. Was waren denn das für Kommunisten, die im Westen um Kredite bettelten?
Mama brachte Tante Therese nach Jever.
Die Meppener Tagespost suchte Zeitungsboten. Ich wurde vorstellig und bekam auch gleich einen Job angeboten, ab September, im Stadtteil Hasebrink. Die Zeitungen lägen ab drei Uhr morgens gebündelt vorm Postamt und könnten dort abgeholt werden. Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit seien wichtig. Bis allerspätestens sieben Uhr müßten alle Zeitungen verteilt sein. Am 30. August könne ich meinen Vorgänger bei dessen letzter
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