Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
drin gewesen wäre. Dachte ich. Doch nach den ersten beiden Straßen gab ich mich keinen großen Hoffnungen mehr hin. Auf den Briefträger, der jetzt noch auf der Bärenhaut lag, warteten die erlesensten Leckereien, während mir, dem jämmerlichen Zeitungsboten, dem winzig vor der kaiserlichen Sonne in die fernste Ferne geflüchteten Schatten, nicht einmal eine taube Haselnuß zugedacht worden war.
Und dabei blieb’s. Zum Schluß stand ich mit leeren Händen da. Der Briefträger hingegen hätte für seine Geschenke zwei bis drei Schubkarren gebraucht, und weil ich das nicht einsah, riß ich mir das letzte seiner Weihnachtspäckchen selber unter den Nagel.
Den Inhalt bildeten ein Schlüsselanhänger, den ich wegschmiß, ein Kugelschreiber, der nichts taugte, und ein Fläschchen Pflaumenlikör. Den genehmigte ich mir in der Küche, bevor ich schlafen ging.
Am späten Nachmittag rückte Volker mit Vera an. Die brachte kaum ein Wort über die Lippen. Das schafften nur die wenigsten Besucher in Papas Gegenwart.
Ich konnte mich an keine Bescherung erinnern, bei der mir jemals so unfestlich zumute gewesen wäre. Mir hätte alles glatt gestohlen bleiben können, bis auf die beiden Bücher, die ich mir gewünscht hatte: »Global 2000« und Döblins »Berlin Alexanderplatz«.
Anders als früher interessierte es mich auch kaum noch, was die anderen so gekriegt hatten. Mama von Tante Dagmar zum Beispiel Stinkeparfüm von Yves Rocher oder Wiebke ein neues Fahrrad, ein Tagebuch und von Tante Therese »ein süßes Nachthemd« (O-Ton Wiebke).
Vera hatte Volker einen dieser modischen bunten Zauberwürfel vermacht, die man wie wahnsinnig hin- und herdrehen mußte, bis irgendwann alle sechs Seitenflächen wieder einfarbig waren. Rubik’s Cube. Der ging reihum, und ich durfte auch mal dran drehen, aber davon hatte ich die Faxen schon nach wenigen Sekunden dicke.
Dann murkste Papa an dem Apparat herum, und Volker grinste.
Der obligatorische Anruf in Jever erbrachte die Neuigkeit, daß es da einen Putenbraten zu essen gegeben habe. Danach rief Mama in Bonn bei Renate an, und als ich aufs Klo ging, hörte ich Mama am Telefon ausrufen: »Florian! Tu doch das dem armen Wurm nicht an!«
Ich kombinierte: Olaf und Renate spielten mit dem Gedanken, ihr Kind, wenn es ein Junge werden sollte, auf den Namen Florian zu taufen.
So hätte allerdings auch ich nicht heißen wollen.
Beim Abbeißen von meinem Schokoladenweihnachtsmann piekte ich mir eine Schokoladenecke in den Gaumen, und dann hatte ich genug von Heiligabend.
Vorm Einschlafen las ich noch ’ne halbe Stunde in der mehr als 1500 Seiten fetten Schwarte »Global 2000«. Das war eine amtliche, vom amerikanischen Präsidenten in Auftrag gegebene Studie über die Umweltkatastrophen, die uns zur Jahrtausendwende blühten: Wüstenwachstum, Ernterückgang, Artensterben, Luftverschmutzung, Säureregen, vergiftete Flüsse, Trinkwasser- und Nahrungsmittelknappheit, Schmelzen der Polkappen, Ansteigen des Meeresspiegels, Klimaschwankungen, Übervölkerung, Strahlenverseuchung, dramatische Zunahme der Krebserkrankungen …
Wozu sollte man überhaupt Abitur machen, wenn eh alles den Bach hinunterging?
Karl Dönitz war gestorben. Den hatte Adolf Hitler im April 1945 zu seinem Nachfolger bestimmt, im Amt des Reichspräsidenten und als Oberbefehlshaber der Wehrmacht. Ich hatte gar nicht gewußt, daß dieser Großadmiral noch am Leben gewesen war. Je mehr ich über ihn erfuhr, aus den Nachrichten, desto verlogener kam er mir vor, und ich machte mir Notizen für einen Nachruf in der Schülerzeitung.
Nach dem Mittagessen fuhr ich zu Heike, und wir gingen im Esterfelder Wald spazieren, aber den hätten sie besser umbenennen sollen in Esterfelder Gestrüpp. Wie armselig das alles aussah! Die Emsköppe hatten keine Ahnung von ’nem anständigen Wald.
Überhaupt das Emsland: Mich erinnerte es immer wieder an den Stammsitz der Wilden 13. Das Land, das nicht sein darf.
Abends hätte ich mit Heike gern einen gehoben, im Pub, aber die Familie vor dem Tannenbaum alleine zu lassen, das ging irgendwie nicht.
Mama erzählte von früher. Wie wunderbar es immer gewesen sei in Moorwarfen, wenn sie zusammen gesungen hätten. Am Brunnen vor dem Tore. »Da gab’s halt noch kein Pantoffelkino!« Frisia non cantat, Friesland singt nicht, diese Behauptung treffe überhaupt nicht zu.
Kein schöner Land in dieser Zeit.
»Einmal, im Krieg noch, da hat bei uns der Weihnachtsbaum Feuer gefangen, und mein Opa
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