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Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)

Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)

Titel: Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Henschel
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dem String-Regal hängen. Da moderte seit 1976 ein Exemplar der Illustrierten Mein schöner Garten vor sich hin, und deren ausgeblichene Titelseite hatte ich in diesen vier Jahren schon so oft gesehen, daß sie mich unsäglich anstank.
    Wie ich bei der Lektüre des Romans von Alfred Döblin feststellen mußte, war dieser Franz Biberkopf, mit Verlaub gesagt, ein dicker Dummkopf. Tölpelte durch Berlin und verkaufte völkische Zeitungen.
    Aber der Stil, der gefiel mir. Einmal wurde man vom Erzähler ohne ersichtlichen Grund in die Eingeweide eines Hornbrillenträgers entführt, der eine Rindsroulade und Kartoffeln mit Soße verschlungen hatte:
    Jetzt geht’s damit los in seinem Bauch, die Arbeit, jetzt hat der Bauch damit zu schaffen, was der Kerl reingeschmissen hat. Die Därme wackeln und schaukeln, das windet sich und schlingt wie Regenwürmer, die Drüsen tun, was sie tun können, sie spritzen ihren Saft in das Zeug hinein, spritzen wie die Feuerwehr, von oben fließt Speichel nach, der Kerl schluckt, es fließt in die Därme ein, auf die Nieren erfolgt der Ansturm, wie im Warenhaus bei der Weißen Woche, und sachte, sachte, sieh mal an, fallen schon Tröpfchen in die Harnblase, Tröpfchen nach Tröpfchen. Warte, mein Junge, warte, balde gehst du denselben Gang hier zurück an die Tür, wo dransteht: Für Herren. Das ist der Lauf der Welt.
    Solche Bücher wollte ich lesen. Und nicht das marktkonforme Geschreibsel von Hofmannsthal oder Enzensberger.
    Als wir alle wieder vor dem Tannenbaum saßen, fing Mama noch einmal von Moorwarfen an. Jeden Herbst die Kartoffeln auskriegen und Wurzeln und Steckrüben und was nicht alles. Dagegen sei das bißchen Gartenarbeit in Meppen kaum der Rede wert. Und dann auch noch Bucheckern sammeln im Krieg! Und in jedem Winter seien die Wasserleitungen eingefroren, und wenn’s endlich getaut habe, sei nur rostigroter Sud aus dem Hahn gekleckert.
    An meinen beiden letzten Arbeitstagen als Zeitungsbote begleitete mich der kurzgeratene Bursche, der ab Januar das Hasebrinkviertel betreuen sollte. Wo sie den wohl ausgegraben hatten? Dem stand das Maul offen, und er sagte nicht viel mehr als »Ähä«.
    »Hier in diesen Kasten kommen zwei Zeitungen rein.«
    »Ähä.«
    »Und hier in diesen eine.«
    »Ähä.«
    »Und hier das Tor, das klemmt, da steigt man einfach drüber.«
    »Ähä.«
    Testhalber ließ ich ihn am letzten Morgen in der Fasanenstraße vor mir hergehen, und er machte fast alles falsch. Aber das wäre ab dem zwoten Ersten nicht mehr mein Problem, sondern das der Drecksäcke, die mich um meinen Lohn betrogen hatten. Die würden sich umkucken!
    Nach dem Fondue servierte Mama am Silvesterabend Walnußeis. Davon hätte ich ’ne ganze Wagenladung verknuspern können.
    Im Wohnzimmer gab es dann Grog, und Papa zeigte ein Foto herum, das von der Erprobungsstelle stammte: Kaiser Wilhelm II ., wie er mit dem Admiral von Tirpitz und einer Rotte von Generälen und Korvettenkapitänen in Meppen zu Besuch war, 1907, um sich auf der E-Stelle Marinegeschütze vorführen zu lassen.
    Da standen sie, die bärtigen Goldfasane. Stolz wie Oskar und schon ganz versessen darauf, einen Krieg anzuzetteln.
    Ob wohl auch Hitler mal die E-Stelle besichtigt hatte?
    »Eigentlich ’n Wunder«, sagte Mama, »daß Vati den gesamten Zweiten Weltkrieg heil überstanden hat …«
    Irgendwo bei Aurich wohne ein weitläufiger Verwandter von uns, der systematisch Ahnenforschung betreibe, bis zurück ins vierzehnte Jahrhundert. Den nenne man den Sippen-Fritz. »Aber bildet euch bloß nichts ein! Wir stammen nicht von Edelleuten ab, sondern von Fischersleuten und von sogenannten Heuerköttern.«
    »Du vielleicht«, sagte Papa. »Und von Piraten und Zigeunern …« Seine Mutter stamme jedenfalls aus einem Geschlecht von Ärzten und Apothekern. Eduard Grote, Papas Großvater mütterlicherseits, sei zwar auch nur in Minserosteraltendeich geboren worden, aber der habe es zum Doktor der Medizin gebracht.
    Über Oma Schlosser seien wir um ein paar Ecken auch mit dem alten Reitergeneral Friedrich von Wrangel verwandt, so wie dieser CDU -Abgeordnete da, Olaf von Wrangel.
    »Darauf würde ich mir nun aber erst recht nichts einbilden«, sagte Mama. »Im Gegenteil! Wie gut, daß das keiner weiß!«
    Weil wir gerade bei dem Thema waren, kramte Papa aus dem Wohnzimmerschrank einen Stammbaum der Familie Lüttjes hervor. Der war in der Nazizeit gepinselt worden und reichte rund zweihundert Jahre weit in die Vergangenheit.

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