Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
lag sie entweder gleich hinter der Haustür auf der Treppe oder schon oben vor meiner Zimmertür.
Und so sah das normale Prozedere aus: Haustür auf, unten keine Post, Treppe hoch, Etagentür auf, Blick zur Zimmertür – auch oben keine Post.
In Italien war Brinkmann »trauriger chicer Klavier-Pop« zu Ohren gekommen.
Das ist wie mit Fotografien: selbst ein stinkender rostender Schrotthaufen, selbst die schäbigste verpißte Holzwand wirkt auf ihnen schön und ästhetisch. Da stimmt doch was nicht?
Traurigen Pop fand ich aber immer noch besser als beispielsweise die krachende Fröhlichkeit, mit der einen manche Rundfunksprecher bepesteten.
Kurz nach Ladenschluß fiel mir ein, daß ich Eier hatte kaufen wollen.
Scheiße.
Wie mir Frau Perlacher eröffnete, durfte ich demnächst die Urlaubsvertretung für einen Zivi übernehmen, der einen Querschnittgelähmten betreute. »In Heepen. Für fünf Wochen. Und du hast Glück – das issen Intellektueller! Der studiert sogar. Psychologie. Mit dem wirste dich gut verstehn!«
In der Mittagspause kaufte ich zwanzig Eier und zur Versöhnung eine Packung Mon Chéri. Oder würde ich Edith damit zu übereilten Schlüssen verleiten?
Was ich mir nicht mehr kaufte, war konkret . Titelthema »Okkultismus«, mit ’ner Blondine vornedruff, die eine Wahrsagekugel in der Hand hielt?
No.
Abends dann: Haustür auf, unten keine Post, Treppe hoch, Etagentür auf, Blick zur Zimmertür – und da lag ein Brief.
Aus Neustadt am Rübenberge! Von Gabi!
Rein ins Zimmer, Tür zu, hinsetzen und den Umschlag aufreißen.
Lieber Martin!
Mit Kringeln drumherum, auf Umweltschutzpapier mit einem Baum darauf und blühenden Gräsern.
Gestern habe ich Dein Buch und Deinen Brief erhalten. Vielen Dank! Ich war so gespannt, daß ich sofort zu lesen begann. Ich laß und laß.
Konnte die kein Deutsch? Ach, egal! Was machte denn ein bißchen Rechtschreibschwäche aus?
Ja, ich verschlang dieses Buch. Ein Albtraum? Wirklichkeit? Dachte ich wirklich so naiv kindlich, daß ich soooo empört war?
Ich machte Ausrufezeichen an die Stellen, die mich aufregten. All diese Bundeswehrzeitungen, die Filme im Kasernenkino, diese dreckigen Witze, diese Dienstvorschriften, die Anzeigen, die Schlägereien, die Kritzeleien auf dem Klo. Sogar untereinander macht man sich kaputt. Es gibt noch vieles mehr, was ich hier angliedern könnte. All das hat mich an die Nazi-Zeit erinnert.
Na, na, na, jetzt übertrieb sie aber …
Diese Brutalität. Menschen werden wie Gegenstände behandelt, Gefühle in den Schmutz gezogen und vernichtet. Wie kommen die Menschen wohl aus diesem »Lager« der Bundeswehr heraus? Versehrt, verarmt an Gefühlen. Ein labiler, sensibler Mensch, was wird aus ihm?
Ich stand der Bundeswehr schon immer sehr kritisch gegenüber, hatte aber nie eine feste Meinung. Jetzt bin ich dabei, sie mir zu bilden.
Ob nun wohl auch mal was Nettes über mich persönlich kam?
Es gefällt mir übrigens gut, daß Du nicht mit Fremdwörtern um Dich schmeißt. Ach, und was ich noch so lachhaft fand: diese harmonische Verabschiedung! Hattest Du es nicht sehr schön? Ha, ha!
Vielen Dank – Deine Gabi
Nachsatz:
Wenn Du Zeit und Lust hast, schreib doch zurück. Ich würde mich freuen.
Und ihr Wunsch war mir Befehl.
Nein – erst die Eier in den Kühlschrank. Und die Mon Chéri?
Die aß ich selber auf, während ich Gabi schrieb.
Seit dem Besuch im Sex-Shop zeigte Heike sich für Annäherungsversuche noch weniger empfänglich als sonst. Da war ihr irgendwas an die Nieren gegangen. Sie sei nicht mein Sexualobjekt, sagte sie. Aber war beim Sex nicht jeder das Objekt des anderen? Und war das so verkehrt?
Rolf Dieter Brinkmann hatte gewußt, was er wollte:
Einen 379 Seiten-Roman schreiben, fein und genau, exakt und radikal, in einem Block gebunden, nicht runder Rücken: das wärs, was ich möchte und will.
Weshalb hatte er’s dann nicht getan?
An der Adrema speiste ich Hermanns Adresse in das Karteisystem ein und verurteilte ihn somit für die nächsten achtzehn Jahre zum Bezug der »Briefe an junge Eltern«. Also tief bis in das Jahr 2000.
Heike hatte vor, zusammen mit einer Frau namens Gila, die sie vom Frauenreferat her kannte, nach Griechenland zu fliegen, für mehrere Wochen, damit sich das Ganze auch lohne.
Ein Zelt sei bei der Wärme da überflüssig. »Wir machen’s so wie alle. Einfach irgendwo draußen im Schlafsack pennen …«
Und das ließen sich die Griechen bieten? Das ganze Land voller
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