Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Schlafsäcke mit Touristenfüllung?
Zum 22. Geburtstag schenkte ich Heike eine mittelgroße Schildkröte, die ich aus Fimo geknetet und mit Deckfarben bemalt hatte.
»Und was soll ich damit?«
»Ich dachte die so als Zimmerschmuck.«
»Na, dann will ich mal ’ne Stelle suchen, wo man selten hinkuckt …«
Die Haushaltswarenfirma AEG war bankrott. Ich verstand das nicht. AEG , das war doch immer ein Fixstern am Markenhimmel gewesen! Wenn ein Tante-Emma-Laden pleiteging, okay, das passierte – aber ein milliardenschweres Traditionsunternehmen?
Das war so, wie wenn es plötzlich Karstadt, Neckermann oder VW nicht mehr gegeben hätte.
Zuziehen konnte sich der ostwestfälische Himmel auch im Hochsommer. Dann lastete ein undurchdringlich grauer Regenwolkenbrei auf Bielefeld und absorbierte alle Lebensenergie.
Und dann starb Henry Fonda. Wieder einer weniger von den Guten.
Als die Sonne wieder knallte, wurden Edith, Eberhard und ich von Frau Kruse zum Kaffeetrinken in den Garten eingeladen, und weil mir keine Ausrede einfiel, mußte ich mit.
Eberhard verstieg sich sogar dazu, im Garten mit den Töchtern Federball spielen. Edith unterhielt sich mit Frau Kruse über Tortenböden. Mir wiederum fiel die Aufgabe zu, Herrn Kruse die alte Frage zu beantworten, weshalb meine Jalousie immer auf halb acht hänge.
Hatte der keine anderen Sorgen?
Georg Krause schrieb mir, daß er zwölf Tage lang alleine mit seinem Roller durch Frankreich gedüst sei und keine Freundin mehr habe.
Will momentan auch keine. Ich hatte einen Zeitabschnitt, wo ich alle Pärchen bedauerte. Hab eine ganz neue Einstellung dazu bekommen.
Und nun laß auch Du mal wieder von Dir hören. Alles klar?
Alles klar.
Der Querschnittgelähmte in Heepen hieß Dietmar. Sein Zivi brachte mir alles bei: Urinbeutel vom Bein abschnallen, Inhalt ins Klo kippen, Dietmar auf die Seite drehen, Plastikhandschuh überstreifen, Kot aus dem Darm pulen, Dietmar mit warmem Waschlappen waschen, Urinbeutel wieder ans Bein schnallen, ein vorn aufgeschnittenes Kondom über den Penis rollen und mit dem Urinschlauch verbinden, Dietmar anziehen, füttern und die Zähne putzen, ihm in den Rollstuhl helfen, den Rollstuhl in den Schwerbehindertentransporter schieben und fixieren und Dietmar hernach wieder ausladen und ihn zurück ins Bett bringen.
Dietmar (23) war als Kind mal von der Kletterstange gefallen, und seither konnte er bloß noch den Kopf und einen Arm bewegen. Sein Bett stand im Wohnzimmer der Eltern, weil in dem Haus sonst kein Platz dafür gewesen wäre.
Seit dem elften Lebensjahr ein unheilbarer Pflegefall sein: Wie ertrug man das? Keine richtige Jugend gehabt haben, nie wieder laufen können, allen immer nur zur Last fallen und auch niemals vögeln können?
Die Mutter wies mich darauf hin, daß es sehr wichtig sei, den geleerten Urinbeutel unten wieder zu verschließen.
Durch einen telefonischen Tip von Hermann war ich auf den Roman »März« von Heinar Kipphardt gekommen. Es ging um einen schizophrenen, in psychiatrischer Behandlung befindlichen Dichter namens Alexander März. Eines seiner Gedichte hieß »Die Familie«:
Wenn es Sommer ist
und schön warm
macht die glücklichere Familie
einen Ausflug in den Zoo nach Groß-Breslau.
Sie sehen die Raubtierfütterung
und andere Lustbarkeiten
z. B. das Gnu.
Im Aquarium sehen sie
den elektrischen Fisch (Rochen).
Der sieht sie auch.
So stecken sie in der Falle.
März verliebte sich in dem Roman in eine Patientin, und sie flohen aus der Klinik, doch das Glück war nicht von Dauer. Die Polizei verfolgte die beiden, die Frau ging ins Wasser, und März verbrannte sich selbst bei lebendigem Leibe in einem benzingetränkten Baum.
An das Herausklauben des Kots gewöhnte man sich rasch. Man wuchs ja mit seinen Aufgaben, und ein Querschnittgelähmter spürte da unten sowieso nichts.
Oder doch? Wenn ich das Kondom anlegte, kriegte Dietmar manchmal eine halbe Erektion. Ich tat dann so, als wäre nichts.
A working class hero is something to be …
Mit dem Wagen kam ich besser zurecht als mit dem Renault von der AWO , und es wäre überhaupt ein ganz lockerer Job gewesen, wenn ich Dietmar nicht so unsympathisch gefunden hätte. Auf jeden Löffel von seinem Frühstücksei mußte ich einen Spritzer Maggi drauftun, und wenn er glaubte, daß es nicht auf die Sekunde genau viereinhalb Minuten gekocht hatte, ließ er das Ei zurückgehen und bestellte sich ein neues. Das war dann schon mal kein guter Start in den
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