Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
einfach keine festen Freunde haben dürfen.
Zu Heikes und meinem nächsten Kinobesuch kam Spontanfick-Elsbeth mit. Wir kuckten »Yol«, einen Film über die schaurigen Zustände in der türkischen Provinz.
Die Sexualmoral der Türken sei archaisch, sagte Elsbeth hinterher beim Bier, und Heike meinte, im Matriarchat, also in einer noch weitaus archaischeren Gesellschaftsform, hätten die Menschen viel freier gelebt.
Wo sie das wohl gelesen hatte. Im Geschichtsunterricht war das Matriarchat nicht vorgekommen, und mit Diplompädagogik hatte es ja auch nicht unmittelbar was zu tun.
Mit ihrem etwas eckigen Kopf, ihren großen gelben Hauern und ihren knochigen Fingern wirkte Elsbeth auf mich nicht direkt wie eine Sexbombe, während wiederum ich für sie wahrscheinlich schon deswegen nicht in die engere Wahl kam, weil ich Heikes Freund war. Jedenfalls wurde ich nicht gefragt, ob ich es auf einen Versuch ankommen lassen wolle.
Am Montagnachmittag knallte Frau Hülshoff mir einen an die sehr geehrten Damen und Herren der Bielefelder Arbeiterwohlfahrt gerichteten Brief auf den Tisch.
Absender: Hermann Gerdes.
Einem mir unerklärlichen Umstand ist es zuzuschreiben, daß ich in die Verteilerkartei der »Briefe an junge Eltern« geraten bin. Es mußte mich auch sehr wundern, mit »Lieber Vater« angeredet zu werden. Ich bin weder der Erzeuger eines kreischenden Säuglings, noch habe ich den Plan, mich in die Reihe stolzer Familienvatis zu begeben.
Vielleicht werden Sie einsehen, daß mein Hauptaugenmerk sich daher nicht auf die Körperpflege von Säuglingen oder auf die Entwicklung der mimischen Ausdrucksfähigkeit richten kann, auch wenn ich deren Relevanz nicht in Abrede stellen will.
Für die Entfernung meiner Adresse aus der Verteilerkartei der »Briefe an junge Eltern« wäre ich Ihnen also sehr verbunden.
Mit freundlichen Grüßen …
Als ich ausgelesen hatte, kriegte ich gewaltig was zu hören von wegen Disziplinlosigkeit, Zweckentfremdung, Infantilität und Geldverschwendung. Als hätte ich ’ne Millionensumme veruntreut. Es wäre mir nicht eingefallen, Frau Hülshoff einen ausgeprägten Sinn für Humor zu bescheinigen, aber daß sie ein solches Gewese um ein paar läppische Briefchen machte, das hätte ich auch wieder nicht gedacht.
Und die fingernägelkauende Frau Gorske sagte: »Das geht ja wirklich nicht, daß man da falsche Adressen eingibt.«
Verrecke, Arbeiterwohlfahrt. Und überhaupt ganz Fuck-Scheiß-Bielefeld. Wenn ich schon den Weihnachtsschmuck in der Fußgängerzone sah, kam mir das Frühstück hoch. Und ich fand auch keinen Frieden, wenn ich mich ins Bett verkroch. Links Klaviergeklimper, oben Gitarrengeschrammel und rechts Unternehmensberatung.
Außerdem stand keine Post mehr aus, auf die ich mich hätte freuen können. Männlein, Weiblein, alles eine Soße. Der letzte Brief von Michael Gerlach stammte vom August ’81, also aus dem Mesozoikum.
Once there was a path
and a girl with chestnut hair …
Und von diesem eindimensionalen Bielefelder Hundeleben hatte ich mir mal was versprochen!
»Du könntest dich ja auch politisch engagieren«, sagte Heike, doch was wäre dabei rausgekommen? Politisches Engagement, das hieß auf deutsch: auf andere Leute einquatschen. Und wie sollte das gehen, wenn einem bereits von den Fressen der anderen Leute schlecht wurde?
And yes it’s come to this,
it’s come to this,
and wasn’t it a long way down,
wasn’t it a strange way down?
Am vierten Adventswochenende schlug Hermann bei mir auf. Von dem Ärger, den sein Brief mir eingetragen hatte, zeigte er sich unbeeindruckt: Ich hätte alle Zeit der Welt dazu gehabt, die Verteilerkartei vorbeugend umzugestalten.
»Wenn du dich für diesen Brief nicht schämst, kann ich nur hoffen, daß dir der Nikolaus ’ne Rute gebracht hat.«
»Da muß ich dich enttäuschen. Der Nikolaus kommt nicht ins Studentenwohnheim.«
»Woher willst du das wissen? Hast du deine Schuhe vor die Tür gestellt?«
»Bist du verrückt? Dann wären sie mir höchstens geklaut worden!«
Daraus folgte die Frage, wo es sich schlechter lebte – in einer blöden kleinen WG oder anonym in einem Wohnheim unter lauter Dieben?
»Tertium datur«, sagte Hermann. Er habe eine Wohnung an der Angel. Frei ab Februar. »Keine Nobelherberge, aber für mich allein. Anderthalb Zimmer, und vom Flur geht ’n Klo mit Waschgelegenheit ab …«
Darauf tranken wir ein Warsteiner.
Mit Marokko sehe es allerdings mau aus. Die Germanisten, die Anglisten
Weitere Kostenlose Bücher