Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Hamburg, so daß man sich fragte, ob er da gehaust hatte wie der Räuber Hotzenplotz.
Papa trug jetzt eine Brille: Altersweitsichtigkeit. Mama fand, er solle auch mal was gegen seinen ewigen Husten unternehmen, aber erst zum Augenarzt und dann zum Optiker und dann auch noch mit ’ner Überweisung vom Hausarzt zum Lungenspezialisten – das war mehr, als man von jemandem wie Papa erwarten konnte.
Von Oma Schlosser hatte er zum Geburtstag wieder einmal einen Ostpreußenkalender erhalten. Mit Begleitschreiben:
Viel Landschaft, große Weite, Einsamkeit und Stille. Natur prägt die Menschen, die ohne Betonhochhäuser und Autobahnen zufrieden sind. Jetzt gehört es den Polen, und die preußische Kornkammer von einst kann sie nicht mal mehr satt machen. Zu unserer Schirwindter Zeit kamen Gassners Gänsetransporte auch schon aus Polen. Wird sich unter dem Kreml-Nachfolger etwas ändern?
Unter Andropow? Der sah mit seinen 68 Jahren nicht so aus wie ein reformfreudiger junger Dachs.
Mama tat das Ihre, indem sie Weihnachtspakete für notleidende deutsche Familien in Polen packte: Pullis, Blusen, Strumpfhosen, Röcke, Reis, Kakao, Schokolade, Puddingpulver, Vanillinzucker, Backpulver, Kaffee, Zucker, Mehl, Waschpulver, Zahnpasta, Shampoo, Seife und Schuhcreme.
Die Lesung ging in einem Schuppen namens »Jugendkeller St. Maria zum Frieden« vonstatten, vor ungefähr zwanzig Leuten, und danach kam ein älterer Herr mit Baskenmütze auf mich zu und sagte, er habe im Widerstand gekämpft und sei mit Gustav Heinemann befreundet gewesen. Leider hatte ich den Namen des Herrn nicht verstanden, doch ich konnte nicht nachfragen, denn er hatte bereits angefangen, mir im Stehen sein Leben zu erzählen. Heike eiste mich schließlich unter dem Vorwand los, daß wir noch zu ’ner Verabredung müßten.
Nichts gegen Widerstandskämpfer, aber irgendwann wollte man ja auch mal rausgehen und rauchen.
In meiner WG -Küche kramte ich am Sonntagabend die Vorräte durch und machte mir dann Milchnudeln mit Dosenchampignons. Hunger ist der beste Koch.
Noch fünf Wochen Büro bis Heiligabend. Zweihundert tote Stunden in Frau Gorskes Apfelsinendunstkreis, und keine Macht der Welt vermochte mich davor zu bewahren.
Tilman hatte Heike und mir den angeblich wahnsinnig komischen Spielfilm »Der Saustall« empfohlen. Aber was sollte daran witzig sein, daß ein feister französischer Bulle, dem alles scheißegal war, in einem von Betrügern und Verbrechern wimmelnden Dorf in Afrika rumhing?
Julia hatte mir wieder geschrieben.
Jetzt verpasse ich Dir also noch so einen von den verflixten Air-Mail-Briefen. Da Du aber nun bestimmt schon raushast, wie Du ihn perfekt aufkriegen kannst, denke ich mir, daß es nicht so schlimm ist. Ich mag auch gerne meine Gedanken in einer kurzen Pause aufschreiben, denn zum Nachdenken komme ich beim Putzen viel.
Über die Staaten hast Du hast ja eine Menge Vorurteile, und ich kann Dir einige davon bestätigen. Man kommt hier allerdings, wenn so die vielen neuen Eindrücke auf einen einströmen, aus dem Staunen nicht heraus, und anfangs kann man Gut und Schlecht nicht unterscheiden. Ich finde es auch wichtig, daß man das Staunen nicht verlernt.
Würg.
In manchen Situationen bin ich immer noch überwältigt von dem, was ich zu sehen bekomme, aber auch nur, weil es neu für mich ist. Leider habe ich in der Zeit, die ich jetzt hier bin, noch nicht so viel von meiner Umgebung gesehen, denn ich arbeite ja dauernd. Am Wochenende ergreife ich immer die Gelegenheit, mit ein paar Studenten, die ich kennengelernt habe, alles ein wenig unsicher zu machen (nicht so wild, wie Du jetzt vielleicht denkst). Aber die Menschen liegen mir auch nicht so, denn ich empfinde sie als zu oberflächlich. Ich brauche es sehr, mit Freunden über Personen oder Probleme reden zu können. Natürlich ist an meiner Situation auch die Arbeit schuld, denn ich bin sehr viel allein oder passe auf die Kleinkinder auf. Ich habe meine Zeit hier in Amerika aber auf ein halbes Jahr verkürzt, so daß ich im Februar wiederkomme.
Gut!
Im Januar will mein Freund
Der nun wieder. Hätte sich dieser Strizzi nicht endlich in eine andere Frau verlieben und mit Julia Schluß machen können?
Im Januar will mein Freund mich besuchen und anschließend mit mir zurückfliegen. Dann komm ich wirklich mal zu Dir nach Bielefeld.
Und was würde ihr Freund dazu sagen? Oder würde sie den am Ende noch mit anschleppen?
Viele, viele liebe Grüße von Julia!
Frauen hätten
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